AW: Aktiv gegen ACTA!
Ich finde es spannend, welchen Gang diese Diskussion hier genommen hat.
Auch wenn mir viele eurer Argumente einleuchten und sympathisch sind, möchte ich dann ganz dialektisch noch eine Gegenmeinung einbringen: Meiner Ansicht nach ist das (oft nichtige, vergebliche, also: eitle) Bestreben nach Originalität doch ein Motor, der die Kunst weiterbringt und lebendig hält.
Ein Phänomen der letzten 150 Jahre ist das Bestreben um originelle Urheberschaft dabei ja durchaus nicht. Ich mag nur kurz an den Geniekult des 18./19. Jahrhunderts erinnern.
Grundsätzlich bin ich jedem Künstler dankbar, der sich (häufig vergeblich) darum bemüht, mir als Rezipienten etwas zu bieten, was ich zuvor noch nicht gesehen, gehört, gelesen, gedacht habe. Und der eben nicht einfach bloß das kopiert, was er selbst vorher anderswo rezipiert hat. Und gerade wenn man sich die populären Genres anschaut, die ja prädestiniert dafür sind, Kunst "von der Stange" zu bieten, dann waren häufig jene Genrebeiträge, die wütend und aggressiv darauf abzielten, das Genre implo- oder explodieren zu lassen, gerade diejenigen, die ihm neue Möglichkeiten geschaffen und neue Räume erobert haben.
Aber mein eigentlicher Punkt ist ein anderer: Originalität kommt für mich aus einer Nähe zur Realität. "origin" ist der Ursprung, und der Ursprung all unserer Erzählungen ist das, was uns in der Wirklichkeit widerfährt oder das, was wir uns hinter der Wirklichkeit (im Sinne einer Metaphysik) vorstellen.
Der Bauarbeiter, der seinen Kollegen am Montag von seinen Wochenenderlebnissen berichtet, ist ein origineller Geschichtenerzähler.
Die Wirklichkeit ist immer neu, überraschend, originell.
Hätte ich vor einem Jahr eine Geschichte über den Untergang eines Kreuzfahrtschiffs schreiben müssen, hätte ich notgedrungen mit den mittlerweile generisch gewordenen Versatzstücken der Titanic-Berichte und -Fiktionalisierungen hantiert. Das Produkt wäre gähnend langweilig geworden.
Dann schlägt mit der "Costa Concordia" die Realität zu und erzählt eine unerhörte und deshalb vollkommen originelle Geschichte: Davon, dass es anscheinend üblich ist, dass Kreuzfahrtschiffe gefährlich nah ans Festland heranfahren, damit die Besatzung ihre Angehörigen grüßen können und die Passagiere etwas zu sehen haben. (Wer hätte das gewusst?) Die Geschichte von einem Kapitän, der (zumindest dem aktuellen Kenntnisstand nach) alles falsch macht, was man falsch machen kann, den Unfall kleinredet, sich als eriner der ersten selber rettet etc. etc.
Meine These: Wann immer wir uns darum bemühen, nah an die Wirklichkeit zu gehen, werden unsere Geschichten orginell.
Das soll aber keine Geringschätzung der phantatischen Genres ausdrücken. Im Gegenteil: Der Wirklichkeit kommen wir, meiner Ansicht nach, nur mit Phantasie bei. Die besten Werke des Science-Fiction- und Horror-Genres leiteten sich immer aus ganz real empfundenen Ängsten, Hoffnungen, Wünschen, Träumen, Phantasien ab.
Geschichten aber über Geisterjäger, die 500 Dämonen verhauen, entstehen nicht aus einem Funken, der aus der Realität herüberschlägt, sondern weil es vorher ähnliche Geschichten gab, die dann wiederum auf noch älteren Geschichten basieren. Am Anfang der Reihe stand möglicherweise die Sage von einem Helden, der den Drachen erschlagen hat. So etwas mag funktionieren, wenn man den Geschichten immer wieder aufs Neue irgend etwas beimischt, was ihren Bezug zu unserer heutigen Welt sicherstellt. Falls dies nicht geschieht und man stattdessen immer bloß Kopie an Kopie reiht, werden solche Geschichten öde und belanglos.