AW: Aktiv gegen ACTA!
Diese "organized-crime"-Rhetorik ist ungefähr genau so ein himmelschreiender Irrsinn wie die Kommunistenhatz der 50er Jahre oder die Begründung für die Prohibition. Die Wahrheit ist, dass sich die Industrie seit gut einem Jahrzehnt am MP3-Markt die Taschen vollmacht; jene Typen zumindest, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, und erst MP3-Player und jetzt Videoabspielgeräte erfunden haben.
Mit den Großkonzernen habe ich genauso viel Mitleid wie Karpatenhund. Wer in unnatürlicher Weise durch immer aggressiveres Marketing Kaufinteresse an unnatürlichen Gütern generiert, der braucht sich nicht zu wundern, dass ein Prozentsatz X davon der flexiblen "Schnapp-und-ab-in-die-Boxershorts"-Zahlmethode zum Opfer fällt. Normalerweise können die Zwischenhändler das auch von den Steuern absetzen - im Falle der digitalen Verbreitung sieht's da schon anders aus.
Bemerkenswert an dieser Gesetzgebung ist, dass einerseits (Sect.5, Art. 27.2 - Fußnote [1]) eine Beschränkung der Haftung der ISPs angeraten wird, andererseits damit eine generelle Haftung der ISPs vorausgesetzt wird. Neben den ja fast schon zu erwartenden Auskunftsverpflichtungen der ISPs bedeutet dies in Realiter, dass eine Art der Aufsicht der Kunden (vielleicht auch nach Vorbild eines Strikesystems) für die ISPs anzuraten wäre, da die Schadensverpflichtungen sehr leicht in astronomische Höhen schießen können. Art. 9 besagt, dass bei der Findung des Schadensersatzbetrags das Gericht befugt sein soll, jedes legitime Wertmaß zu berücksichtigen, das vom Rechteinhaber vorgeschlagen wird. Dies wird in Art. 9.3 weiter ausgeführt,- bezieht sich einerseits auf Schadensersatzforderungen, die im Voraus festgelegt worden sind (aufgrund der vorherigen Erörterungen ist hier eine direkte "Legitimation" derselben durch den Vorsitzenden offenbar nicht ausgeschlossen), eine Schätzung des entstandenen Schadens + zusätzliche Schadensersatzleistungen.
Vorletztes leitet sich, der Fußnote gemäß, wie folgt ab:
Zu den in Absatz 3 Buchstabe b genannten Vermutungen kann eine Vermutung gehören, dass
sich die Höhe des Schadensersatzes bestimmt: i) als Menge der Waren, die das fragliche
Recht des geistigen Eigentums des Rechteinhabers verletzen und tatsächlich an Dritte
übergegangen sind, multipliziert mit dem Betrag des Gewinns je Einheit der Waren, die vom
Rechteinhaber verkauft worden wären, wenn keine Verletzungshandlung stattgefunden hätte,
ii) als eine angemessene Lizenzgebühr oder iii) als Pauschalbetrag auf der Grundlage von
Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte
entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen
Eigentums eingeholt hätte.
Na dann Waidmanns Heil ... Das wird eine schöne Rechtsprechung, inkl. eingeschränkter Haftung der ISPs. Für Dienste wie Youtube wird das in dieser Form ganz kompliziert. Auch war Megaupload als Beispiel nicht gerade das rechtlich verbindlichste - solche Dienste wurden schon vor einigen Jahren heftig diskutiert, mit teils haarsträubend unterschiedlichen Ergebnissen.
Megaupload zeigt aber, in welche Richtung es gehen wird. Hat ein ISP eine beschränkte Haftung für den Vertrieb von - pi mal Daumen - 300.000 Musikstücken in ein paar Millionen Fällen, wobei natürlich der Schaden bei jedem einzelnen Download oder Aufruf in vollem Umfang entstanden ist - dann kann die Haftung noch so beschränkt sein, und trotzdem: Good night, Irene!
Und da schafft es die EU auch noch scheinheilig in ihrer eigenen Q&A Folgendes zu schreiben:
- ACTA does not foresee cutting off internet access to anyone.
Quelle:
http://ec.europa.eu/trade/creating-...cs/intellectual-property/anti-counterfeiting/
Sollte dieser Kram ratifiziert werden, dann wird es in der Tat einige Änderungen on-line geben. Inwieweit das diese Community betrifft, vermag ich nicht zu sagen. In jedem Falle werden Dienste wie Youtube (mit dem ohnehin schon mehr berüchtigten Content-ID-System) noch mehr daran setzen, so ziemlich jeden "Klang" außerhalb der eigenen Stimme des Webcaminhabers herauszufiltern und das Video zu sperren. Ich glaube nicht, dass YT weiterhin das Musikparadies bleiben wird, das es jetzt ist, wenn ACTA Realität wird.
Allerdings glaube ich nicht, dass das die Entwicklung aufhalten wird. Wenn das Ganze von den etablierten Parteien getragen wird, dann brauchen die Piraten gar nicht mehr viel zu machen, als sich ins Fäustchen zu lachen. (Die FDP hat ja in den vergangenen Jahren gezeigt, was sie für Freiheit im Internet und Bürgerrechte macht: Gar nichts! Leutheusser steht allein auf verlorenem Posten, keine Unterstützung von anderen Leuten aus der Spitze, und muss sich auf faule Kompromisse einlassen, während Rösler und Co. immer noch von Karibiksteuersätzen träumen - diese Partei ist tot).
Echt interessant, diese ganze Nummer mitzuverfolgen. Ich bin kein Jurist - auch, wenn ich einiges an juristischem Zeug im Studium lesen musste -, mich würde allerdings auch mal interessieren, was das alles in Realiter für die freie, non-kommerzielle Szene bedeuten könnte.