So, nachdem ich den Thread jetzt ein bisschen verfolgt habe mal ein paar Gedanken von mir.
Für mich ist Kunst (Film, Hörspiel, Musik ect.) erst einmal etwas unpolitisches. Frei von Ideologien oder Weltanschauungen. Ich selbst betrachte mich ebenfalls als einen unpolitischen Menschen. Aber ich habe oftmals feststellen müssen, dass einige Menschen durchaus kritisch mit Kunst und Künstlern umgehen.
Zunächst einmal ein ganz großes nein. Wenn Kunst frei von Ideologien und Weltanschauungen wäre, dann wäre sie nichts wert. Es tut mir leid, aber ALLES was du tust ist politisch. Ziemlich egal wie irrelevant es dir erscheid. Es gibt im Verlauf des Threads z.B. dieses Beispiel von
@Gregor Schweitzer mit dem schwarzen Punkt auf der weißen Leinwand. Es ist ein Witz. Ein Witz, welcher ein Ziel hat. Z.B. (je nach Deutung) die Kunst Yuppies, welche bereit sind etliche tausend Euros für einen schwarzen Punkt auf einer Leinwand zu bezahlen, obwohl ein Menschen, welcher Mindestlohn verdient, dafür über zehntausend Stunden arbeiten müsste. Ob das jetzt Kapitalismuskritik ist oder doch etwas ganz anderes, das muss jeder für sich entscheiden. Selbst hochglanz Hollywoodproduktionen sind politisch. Die Altright hat z.B. versucht Black Panther für sich zu vereinnahmen, obwohl er eigentlich dem Afro-Futurismus Tribut zollen wollte (an dieser Stelle möchte ich den Youtube Kanal "Die Filmanalyse" empfehlen, welcher idioligiekritisch auch an solche Filme herangeht). Kurz gesagt: JEDER Film, JEDES Kunstwerk, JEDE Lesung ist politisch, ob du es willst oder nicht.
Wir hatten zum Beispiel an unserem Theater vor einigen Tagen eine online Lesung einer Lovecraft Geschichte. Dazu hatten wir einen Trailer online gestellt um diese Lesung zu bewerben. Ein negativer Kommentar hat nicht lange auf sich warten lassen. Lovecraft sei Rassist gewesen und man könne doch dementsprechend kein Werk dieses Künstlers vorlesen. Wie denkt ihr darüber? Ich zu meinem Teil wusste nicht einmal, dass Lovecraft Rassist war. Gleich vorweg: Ich verurteile Rassimus in jeder Form. Es stellt sich mir aber die Frage, ab wann jemand ein Rassist ist. Inwiefern ist z.B. Lovecraft ein Kind seiner Zeit gewesen? War damals vielleicht eine Art unterschwelliger Rassimus dem Zeitgeist entsprechend normal bzw. alltäglich? Man wird ja in eine Gesellschaft hinein geboren. In ein Wertesystem. Man wird in ihr sozialisiert. Für mich stellt sich also die Frage, wie sich dieser Rassimus äußert. Wie er gelebt wird bzw. wurde. Desweiteren finde ich es in diesem Kontext wichtig, ob und wie der Rassimus oder allgemein fragwürdiges Gedankengut in den betreffenden Werken transportiert wird. Zeigt sich das Gedankengut des Künstlers? Zeigt es sich unterschwellig oder gar als Propaganda oder Hetze? Letzteres ist zu verurteilen und somit ein kritischer Umgang damit angebracht. Aber sollten wir Aufgrund der Ideologie oder Überzeugung einzelner Künstler kategorisch ihre Werke verschmähen oder gar verbieten? Wo fängt Zensur an? Darf man also, um beim Beispiel Lovecraft zu bleiben, seine Geschichten gerne hören oder gar vertonen, ohne Gewissenskonflikte zu bekommen oder gar kritisiert zu werden?
Lovecraft ist tatsächlich ein ganz heißes Eisen.
@Rexx Cummings hat gesagt (zumindest habe ich es so verstanden), dass er kein Werk von Lovecraft kennt, welches explizit rassistisch ist. Tatsächlich gibt es auch in seinen unpolitischen Werke dementsprechende "Verweise". Sei es eine Katze, welche "Niggerman" heißt oder (hier wird es ziemlich ekelig) ganze Gedichte wie "On the Creation of Niggers" (
On the Creation of Niggers - Wikisource, the free online library), welche nicht mehr sind, als ein KKK-artiger Rant über Schwarze.
Es beginnt ja schon bei Mike Tyson, welcher ein unglaublich guter Boxer war, aber privat unverzeihbare Scheiße gebaut hat. Oder Salvador Dali, welcher die Enthauptung von Franco-Kritikern explizit befürwortet hat. Oder Martin Luther, welcher ein knallharter Antisemit war. Ich denke nicht, dass man Kunstwerk und Autor tatsächlich zu 100% voneinander trennen kann, aber man kann mit der Kunst kritisch umgehen. Es ist (meiner Meinung nach) in Ordnung, wenn man Lovecraft ließt, aber man sollte sich im Klaren sein, was der Mann noch so "verbrochen" hat.
Die Sache ist für mich folgende: Diese ganzen Slurs (N.könig, Zigeuner etc.) waren schon immer rassistisch, nur war es den Menschen "damals" nicht bewusst. Auch eine Astrid Lindgren (ich glaube übrigens nicht, dass sie diese Wörter so benutzt hat, immerhin hat sie nicht auf Deutsch geschrieben, allerdings hat sie, soweit ich weiß, inhärent rassistische Geschichten, z.B. Fünf Freunde und der Zauberer Wu verfasst) war ein Kind ihrer Zeit. Ein Umschreiben ihrer Werke in eine weniger rassistische Lesart finde ich wichtig, wenn es Bücher für Kinder sein sollen. Wenn es um Bücher für Erwachsene geht, welche den Inhalt selbst kritisch hinterfragen, kann man auch die unveränderte Originalfassung nutzen.
Ich beziehe mich mal auf deine Diskussion mit
@Chaos. Niemand möchte dir die rassistischen Erfahrungen mit deinem asiatischen Freund absprechen, aber es geht darum, dass du sie nicht aus erster Hand gemacht hast. Das ist so, als wären deine Freunde Fallschirm gesprungen und dir wird davon erzählt. Man fühlt den Wind in den Haaren, man sieht die Erde auf einen zurasen, du kennst Videos davon etc. Du selbst hast das aber nie gemacht. Du kannst davon erzählen, du kannst von einen Erlebnissen vom Fahrradfahren bei Gegenwind erzählen, aber du kannst nicht begreifen, wie sich Fallschirmspringen tatsächlich anfühlt. Niemand möchte dir verbieten eine Meinung über das Fallschirmspringen zu haben, aber all die PoCs, all die Opfer von Rassismus, denen sollte man nun mal Vorrang geben, wenn es um Rassismus geht, denen sollte man zunächst zuhören. Direkt auf Durchzug schalten bringt nichts.
Nö Alex, das ist leider eine Beobachtung, und der TE hats ja auch beschrieben.
Dieses ganze "man darf nicht mehr xy sagen" ist doch nichts weiter als Schwurbelei. Natürlich darf(!) man das noch sagen, aber man muss halt mit Widerspruch rechnen. Am Ende des Tages ist es tatsächlich nur ein unwissenschaftliches Totschlagargument, welches man nicht entkräften kann und höchstens anekdotische Evidenz.
Hm, also ich persönlich finde bei sowas wird allgemein viel zu wenig differenziert. Ich betrachte Kunst, Musik etc. Eher für sich genommen. Wenn ich das gut finde und nachher stellt sich raus der Künstler ist ein mega Rassist oder hat eine menschenverachtende Ideologie, schmälert das für mich in keinster Weise die Kunst an sich. Ich finde man muss da auch zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Auch ein Rassist kann gute Filme machen, gute Bücher schreiben oder gute Musik machen und das auch losgelöst von seiner Ideologie. Wenn da natürlich rassistisches Gedankengut ernst gemeint und nicht in einer fiktiven Geschichte verpackt wird (mein Kampf z.B), werde ich es ja kaum für gut befinden. Was ich verstehen kann ist, wenn manche Leute so eine Ideologie finanziell nicht unterstützen wollen, ich persönlich sehe da auf der einen Seite den Rassisten, aber auf der anderen Seite auch einen kreativen Geist. Ich kauf mir Musik und Bücher nicht, weil ich den Menschen dahinter so toll finde, sondern weil mir die Musik Kunst etc. an sich gefällt. Mir geht es da eher um den Skill
So, mein letztes Argument für heute. Es gab diese Band, welche ein riesiges Subgenre des Metals begründet hat, den Black Metal. Die Band hat es geschafft mit ihrer Musik super einflussreich zu sein und es gibt tausende (ja, wortwörtlich) Bands, welche ihr gefolgt sind und ebenfalls Black Metal machen. Burzum (das ist der Name der Band) hat in ihren Songs niemals gesungen. Eine Einflussnahme durch die Texte auf die Hörer ist damit ausgeschlossen. Jetzt ist es aber so, dass die Hauptperson hinter der Band, welche tausende von Menschen inspiriert hat, ein absoluter Hardcore-Rassist ist. Da gibt es keine Diskussion, Varg Vikerness hat sogar einen Bandkollegen umgebracht, da er schwul war und hat dafür mehrere Jahre eingesessen.
Das war in den 90er Jahren und noch immer gibt es Black Metal Bands und Fans, welche dem (angeblich) unpolitischen Projekt Burzum mittels T-Shirts und ähnlichem huldigen. Sie huldigen dem "Skill". Wenn ich aber bei Google nach Burzum suche, komme ich innerhalb von drei Klicks auf auf den Youtube-Kanal von Varg Vikerness, welcher auch heute noch ein knallharter Rassist ist und seine White Supremacy Botschaft durch dieses Projekt ans Volk bringt.
Kurz gesagt: Wenn du einem Rassisten aufgrund seines musikalischen Skills huldigst musst du dir immer bewusst sein, dass du damit auch für ihn Werbung betreibst. Und wenn es auch nur ein Klick auf Youtube ist mit dem du das Video im Algorithmus pushst.
Ein kleiner Disclaimer zum Schluss, weil das doch eine recht emotionale Debatte ist: Ich halte niemanden hier für einen Rassisten, aber man sollte sich schon selbst hinterfragen. Diese Diskussion ist wichtig und jeder sollte mal in sich gehen und mich sich selber ausmachen, was mensch mit sich selbst vereinbaren kann.