Ich habe diesen Thread gerade durch Zufall gesehen und klinke mich einfach mal ganz dreist in die Diskussion mit ein, da ich in meinem Job eigentlich nur noch in Surround mische und auch ein meiner Diplomarbeit darüber geschrieben habe.
Erst einmal, Surround-Hörspiele sind nichts neues, die diversen Rundfunkanstalten (ua. auch BBC) forschen und entwickeln interessante Formate und Methoden, allerdings ist davon noch nichts wirklich verbreitet. Aber auch in der deutschen Landschaft tut sich etwas. Beispielsweise haben zwei hochgeschätzte Kollegen von mir ein
Hörspiel in Dolby-Atmos produziert und auf Amazon ist eine
5.1-Hörspiel-DVD erhältlich.
Zu den drei Verfahren, die hier diskutiert werden:
Bei der klassischen Mehrkanal-Mischung (5.1/7.1-Surround) stehen einem statt zwei fünf bis sieben Kanäle plus zusätzliche Basserweiterung zu Verfügung. Dadurch lässt sich auch ohne Höhenachse eine unglaubliche Immersion erzielen. Problem ist, der Mischer muss natürlich sechs oder acht Lautsprecher haben und eine DAW, die das angenehm bewerkstelligen kann. Aktuell kommen da für mich eigentlich nur
AVID ProToolsHD und
Steinberg Nuendo in Frage, diese sind allerdings ziemlich teuer, haben aber interne Surround-Panningmatrizen und unterstützen nativ den Export in entsprechende Formate. Wer ein klein wenig basteln möchte kann aber auch mit Reaper tolle Surround-Mischungen erstellen. Vorteil ist hier auch, dass man aus der fertigen Surround-Mischung sehr einfach eine Stereo-Mischung gewinnen kann, indem man bei dem sog. Downmix die Signale der hinteren Kanäle wieder nach vorne legt und das Signal des Centers auf Links und Rechts verteilt.
Beim binauralen Stereo werden die Eigenschaften der menschlichen Ohrmuschel und dem Abstand beider zueinander simuliert. Je nachdem aus welcher Richtung ein Geräusch bei uns als Hörer ankommt trifft es auf eines der beiden Ohren zuerst und kommt erst ein wenig später beim anderen an, dieser Unterschied wird Laufzeit genannt. Zudem wird das Signal durch die Form der Ohrmuschel je nach Richtung aus der es eintrifft im Frequenzgang verändert. Ein binauraler Prozessor simuliert diese Veränderungen und so ist es möglich innerhalb einer einzigen Stereo-Datei ein komplettes 3D-Klangbild abzubilden. Vorteil ist, dass man das mit jeder handelsüblichen DAW bewerkstelligen kann, dazu wird einfach ein insertiertes binaurales Plugin anstatt des normalen Stereo-Panners verwendet. Die Nachteile sind, gerade bei statischen Signalen ist die Lokalisierung eher ungenau (dazu gibt es eine sehr gute
Dissertation des Tonmeisters Günther Theile) und die fertige Mischung funktioniert nur auf Kopfhörern.
Die dritte Möglichkeit ist Ambisonics. Ambisonics ist eine Klangfeld-Stereophonie und funktioniert von der Mikrofonierung her so gedacht, dass man ein omnidirektionales Mikrofon für Raumanteile und als Entfernungsreferenz hat, sowie mehrere gerichtete Mikrofone. Mit diesen Signalen kann ein Prozessor ein komplettes 3D-Klangfeld berechnen. Ambisonics existiert in mehreren Ordnungen. Die erste Ordnung besteht aus insgesamt viel Audiokanälen W, X, Y, Z, W ist hierbei das omnidirektionale Signal, während X, Y & Z Druckgradientenempfänger mit Acht-Charakteristik sind, die einmal nach vorne/hinten, links/rechts, sowie oben/unten ausgerichtet sind.
Dies funktioniert schon ziemlich gut (gibt davon ja zigtausend Beispiele auf Youtube), allerdings ermöglichen die vier Mikrofone nur eine gröbere Lokalisierung. Eine genauere Lokalisierung lässt sich erst ab Ambisonics 3. Ordnung ermöglichen. Die 3. Ordnung benötigt schon 18 Audiokanäle und ist als Mikrofon nicht wirklich realisierbar, als simulierte mathemathische Berechnung jedoch schon. Die 7. Ordnung hat 64 Kanäle.
Es wäre also möglich ein Surround-Hörspiel in Ambisonics Higher-Order zu mischen (3. oder mehr). Dazu benötigt man eine entsprechende DAW (auch hier wieder ProTools, Nuendo oder Reaper) und ein entsprechendes Ambisonics Plugin. Praktischerweise forscht die Uni Graz sehr aktiv an diesem Verfahren und bietet eine kostenlose, sehr gute
Plugin-Suite an. Dazu werden die Einzelsignale mit Hilfe von Ambisonics-Pannern im virtuellen Raum platziert.
Das Klangfeld lässt sich mit Hilfe von entsprechenden Decodern sowohl in Mehrkanal-Surround und klassisches Stereo, aber auch in binaurales Stereo dekodieren. Man könnte also mit einer Mischung alle Endformate bedienen, Nachteil ist jedoch, dass dieses Verfahren extrem rechenaufwendig ist.
Letzlich aber ist das Mischverfahren erstmal komplett egal, viel wichtiger ist die ästhetische Realisierung. Wie werden Atmosphären im 3D-Raum platziert, wie geht man mit Hall um, wie wird die Musik gemischt und ist es überhaupt nötig eine komplette Immersion zu erzielen oder lenkt es nicht vielleicht doch zuviel von der Story ab. Fragen über Fragen...
Ich kann jedem, der sich mit 3D-Audio beschäftigen möchte noch empfehlen sich mit der Theorie der
Blauertschen Bänder auseinanderzusetzen.
Ich bin gespannt wann ich das erste Surround-Hörspiel von einem von euch hören kann