AW: Fight Club (Buch) Vorwort
Na hier is ja wieder der Bär los
Also ich bin da mit Nick zur abwechslung mal zu 99% einer Meinung. Auch Jamie's Darstellung sagt mir sehr zu. und ich finde es auch kein bisschen müßig über "Talent" zu diskutieren, sondern sehr wichtig. Es ist in der Tat eigentlich die politische Disskussion Genetik vs. Sozialisation. Als ganzheitlich denkender Mnsch sage ich auch, die Wahrheit dümpelt irgendwo in der Grauzone. Man ließt immer mal wieder Haarsträubende Artikel, Genetiker hätten das Gen für dieses und jenes isoliert, Musikalität, Führungskompetenzen, blabla. Ich tendiere eher dazu, dass man die frühkindliche Prägung nicht hoch genug bewerten kann. Wie Jamie schon sagte, es sind ganz oft die eigenen Eltern und auch die Lehrer, die einem quasi das "Talent geraubt haben". Als Instrumentallehrer erlebe ich mit erschreckender Häufigkeit, dass Erwachsene Menschen völlig von zweifeln Zerfressen in meinen Unterricht kommen und sagen, "Ich weiß nicht ob ich Talent habe", und es sind in der Regel die selben die dann am Anfang jeder Stunde die Liste der Ausreden herunterbeten, warum sie nicht zum Üben gekommen sind. Ich finde es auch interessant, woher diese Denke kommt. Ich habe mal ohne irgendwelches Vorwissen eine Ausbildung als Waldorflehrer begonnen und sie dann ziemlich schnell wieder abgebrochen, aus genau diesen Gründen: Die erste hälfte des 20. Jahrhundert war geprägt vom Dogma der Genetischen Disposition, auch wenn es damals andere Termini dafür gab, der ganz Rassen- und Arierscheiß basiert darauf. Auch schon davor, Kollionalisierungsepboche, Sklaverei etc. Dieses Weltbild wurde bis heute durch viele Familien getragen, einfach weil es wie selbstverständlich akzeptiert wurde und es keinen Anlass gab das in Frage zu stellen. Ich unterstelle hier überhaut keinen bösen Willen oder so was.
Ich denke schon, "Man kann alles schaffen, wenn man nur will", aber diese Floskel , denn das ist es auch für mich, ist in meinen Augen genauso unwirksam, weil sich die Katze hier in den Schwanz beißt. Für viele Menschen ist nämlich das Wollen scheinbar eine Leistung, im sinne der Leistungsgesällschaft und das Nichtwollen entsprechend ein Vorwurf, und es stellt sich so ein Bauchgefühle ein, man habe vielleicht auch zum Wollen nicht das nötige Talent.
Ließt man aber pädagogische Fachliteratur die etwa seit den 70ern ganz andere Modelle etabliert, stolpert man öfter über den Begriff Eigenverantwortlichkeit, und Motivation. Bei mir ist es einfach so, wenn mich etwas interessiert, wenn es mich begeistert, dann brauche ich mich überhaupt nicht dazu zu zwingen es zu üben. Die Gitarre steht in der Ecke und zieht mich quasi magisch an. Ich will das Ding einfach nicht mehr weg legen, aus meiner eigenen Verantwortung heraus entscheide ich mich, mich diesem Studium mit Lust hinzugeben, und es kostet mich keine Energie der Überwindung. Es ist aufgrund - wie ich glaube - ungefähr 1% meiner Disposition und 99 % meiner Sozialisation genau das, was mich in dem Moment weiterwachsen lässt, mir hilft mich zu entfalten, und ICH entscheide mich dafür.
Ich habe diese Bücher gelesen, weil ich Vater wurde und große Angst davor hatte. Ich wusste, dass ich anders sein wollte als mein Vater, aber ich wusste nicht warum oder in wie fern. Ich und die Mama haben daraufhin an unserer Sprache gearbeitet, haben eine Zeit lang das Wort "müssen" oder "sollen" konsequent aus unserem Vokabular verbannt und durch wollen ersetzt. Traumhaft! "Ich will noch abwaschen", "Ich will kurz aufräumen". Ich bin ja nicht ferngesteuert sondern mündig, ich mache nichts was ich nicht will, niemand außer mir selbst bewegt meinen Körper zur Spüle und dreht den Hahn auf, es gibt kein "Über-Ich". Das war für mich das größte Erlebnis von Freiheit ever. Und das Gedeihen unseres Sohnes gibt uns recht, er kann alles was er will, egal ob es Kindern in seinem alter zugetraut wird oder nicht. Und er sagt nie "Kann ich nicht" sondern immer "möchte ich nicht". Wir sind begeistert.
Nun frage ich mich natürlich, was motiviert diese Leute, die nicht motiviert sind ihr Instument zu lernen dazu Unterricht zu nehmen? Gute Frage... Einige sind mit ihrem Leben unzufrieden, wollen was neues probieren und sind fasziniert von Menschen die Musik machen, weil sie es schön finden und sie denken "So wäre ich auch gern". Im Prinzip Symptomdokterei, Aspirin. Genau die selben Menschen erzählen auch gern in ihrer bezahlten Unterrichtszeit alles mögliche aus ihrem Leben und nutzen die Sache als Gesprächstherapie. Das dürfte man natürlich nie aussprechen, aber eigentlich ist es ja total folgerichtig, da sitzt einer vor ihnen, der ein Leben lebt, dass sie bewundern und innerlich fragen sie sich, was hindert mich daran das auch zu tun. Das soll sich jetzt nicht selbstverliebt anhören, oder als wäre diese Art zu Leben das einzig ware, ich meine einzelne Menschen, die in ihrem Lehrer was sehen, was sie vermissen, und das ist bei genauerem hinsehen oft nicht das zu erlernende Handwerk.
Aber ich schweife zu sehr aus... in diesem Sinne, ich bin auch für die Kartoffel, in meinen Augen ist der Begriff "Talent" absolutes Gift.