AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?
Auch wenn es ein recht altes Thema ist, würde ich dazu gerne noch etwas sagen.
Zu der grundsätzlichen Fragestellung: Ich mag kein Zielgruppendenken. Überhaupt nicht. Weil das
Zielgruppendenken häufig nur ein Vorurteil ist, das man einem bestimmten Publikum gegenüber
hegt und man in seiner künstlerischen Arbeit versucht, für eine virtuelle Zielgruppe zu produzieren,
die es in diesem Maße nicht gibt. Gleichsam „führt“ man das Zielpublikum in seine Richtung, und
versucht, die Erwartungen zu erfüllen, von denen man selbst glaubt, daß sie gehegt werden. Das
tatsächliche Resultat dieses Denkvorganges können wir in den zeitgenössischen Medien beobachten
– eine Blödheit jagt die nächste, meistens mit der Begründung, daß das Publikum ja Dinge nicht
verstehen würde, wenn man sie ihm nicht erkläre. Um nicht am Splatter hängenzubleiben, nehmen
wir mal Serdar Somuncu als Beispiel – sein Programm „Haßprediger“ kommt nur in wohl sortierten
Auszügen im Fernsehen vor, und häufig wird ihm die Frage gestellt, ob er denn nicht Angst hätte,
daß man ihn nicht „verstünde“. Jene für dumm und unreflektiert gehaltene Zielgruppe wird,
abgefüttert mit in jeder Weise zensierter Kost, irgendwann genau das sein: dumm und unreflektiert,
weil es nur noch das immergleiche, durch Zensur und Selbstzensur entstandene Schema kennt.
Anders gesagt: Ich finde diese Diskussionen heuchlerisch. Die Gewalt, die man beispielsweise in
Splatterfilmen sieht, ist in extremen Maße verzerrt. (Die wenigsten Splatterfilme gefallen mir
persönlich, weil die Handlung oftmals recht dünn ist, deswegen kann ich hier nur mit wenigen
Beispielen dienen). Splatterfilme funktionieren wie eine Geisterbahn – ein nichtalltägliches
Erlebnis, die Begegnung mit einer Grenze, die die meisten Leute niemals machen werden und
oftmals eine Identifikation mit dem Opfer der Gewalt. Diese Form der Gewalt ist eine
nichtalltägliche Ausnahmeerscheinung, in die sich niemand wirklich zu versetzen imstande ist –
man wird allerdings als Zuschauer in eine Perspektive katapultiert, sich genau damit
auseinanderzusetzen. Wie würde ich darauf reagieren, würde man an mir so etwas vornehmen?
Oder aber, auf der Metaebene, einfach nur „mein Gott, ist das grausam“ – in jedem Falle bleibt es
für die meisten nicht alltäglich.
Bis vor zwei, drei Jahren habe ich mich exzessiv mit diesem Thema auseinandersetzen müssen
(Studium), und habe allerhand Studien zur Hand gehabt (insbesondere in bezug auf
Computerspiele), die sich anschickten, die Konditionierungstheorie zu untermauern (allesamt mit
zweifelhaften Ergebnissen oder sehr fragwürdiger Anzahl an Probanden).
Leider gibt es zu weitaus naheliegenderen Schlußfolgerungen kaum Studien – es gab Vorstöße in
den Staaten, die Verherrlichung der Gangkultur durch entsprechende stark auftretende Vorbilder zu
untersuchen, bedauerlicherweise steckt das noch in den Kinderschuhen. Besteht ein reales Vorbild,
so die Vermutung, das Dir positive Resultate durch Gewalteinsatz in Deinem realistischen sozialen
Umfeld suggeriert, so kann die Identifikation mit diesem Vorbild dazu führen, daß Du solche
Verhaltensweisen billigst oder sie sogar zu Deinen eigenen machst. (Einen solchen Effekt hat man
vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Gangsterrappern und dem Konflikt zwischen Westund
Ostküste aufgrund einer Befragung einiger hundert Jugendlicher erahnen können – was da
wirklich dran ist, ist allerdings bis heute nicht ganz klar).
Geht es ernsthaft um ein Horrorhörspiel, dann halte ich eine Gewaltdiskussion für nicht zielführend.
Es ist im Sinne des Genres, Grenzerfahrungen herzustellen – sicherlich will wohl kaum einer hier
ein reines Splatterhörspiel haben, aber solche Effekte gehören zu diesem Genre (es sei denn, man
möchte ausschließlich ein „Gothic“-Hörspiel haben). Aber in diesem Genre gibt es nun mal
Figuren, die u.a. auch dadurch charakterisiert werden, daß sie Folterer sind – auch diese
Komponente ist Teil des Genres. Wem das nicht gefällt, der sollte keine Horrorhörspiele hören.
Grundsätzlich empfinde ich den Zensierungswahn als genauso beliebig wie heuchlerisch. Der für
mich immer noch groteskeste Moment im deutschen Krimifilm war der, als die Rolle „Derrick“ in
der letzten Folge der Sendereihe eine moralische Rede darüber vortrug, wie fragwürdig es ja sei,
daß der Mord zu einem Unterhaltungsobjekt geworden sei.
Morde sind in der Tat so vollkommen belanglos geworden, daß man Krimis zur Mittagszeit senden
kann – aber wehe, es fließt ein Tropfen Blut! Daß Morde etwas „schmutziges“, gewaltsames,
ekelerregendes sind, wird in diesen Fiktionen ausgeblendet – belaste mich ja nicht damit!
(Verherrlichung?)
Gewalt ist immer ein heikles Thema, zumal „sinnlose“ Gewalt. Damit fängt's schon an. Es gibt
keine „sinnvolle“ Gewalt – es mag fiktionale Gewalt geben, die zu einem Plot paßt, aber die
Unterteilung in „sinnvolle“ und „sinnlose“ Gewalt ist genauso idiotisch wie beliebig. (Wenn's zum
Plot paßt, dann ist der Förster im Krimi wenigstens nicht umsonst verblutet... Verherrlichung?)
Was ist Gewalt? Macht, Herrschaft und im diskutierten destruktiven Sinne Ausdruck einer
Zerstörungsmotivation. Der Folterer im Splatterfilm zersägt sein Opfer – warum tut er dies? Er will
das Opfer zerstören. Vielleicht nur um etwas, „jemanden“ zu zerstören, vielleicht hat er ein anderes,
„persönlicheres“ Motiv – aber der Ausdruck und das Resultat seiner Handlung ist: Du, das Opfer,
bist zerstörungswürdig.
Und in dieser Hinsicht sind unsere Medien voll von „Gewalt“ -
autorisierter, unterstützter Gewalt. Gewalt gegen jene, die nicht existieren dürfen – es gibt einen
Haufen an Serien, in denen bezahlte Statisten „unrechtmäßige“ Hartz-IV-Empfänger (gerne auch als
„Sozialschmarotzer“ oder 2005 vom Ministerium für Propaganda und Agit... Verzeihung,
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in einer Broschüre mit dem Titel „Vorrang für die
Anständigen – Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat“ als „Parasiten“
bezeichnet) so spielen, wie sich die Allgemeinheit den „unrechtmäßig Bedürftigen“ gerne vorstellt –
dreckig, dumm, häßlich (allein schon durch seine Art) in einer heruntergekommenen Behausung
wohnend.
Auch Gewalt gegen Einzelne ist cool – das befreite Lachen Stefan Raabs, weil jemand „Lisa Loch“
heißt – und eine ganze Nation macht über Jahre hinweg eine Person fertig. Aber ist doch alles nur
„Comedy“, cool down! Aber das ist autorisierte, unterstützte und teils auch staatliche Gewalt.
Aber wehe einer der so Behandelten reagiert im Extremen auf diese Gewalt – zum Beispiel in dem
er jene Leute, die ihm mit Beleidigung und Humor (die schlimmste Waffe überhaupt) suggeriert
haben, daß er nicht dazugehöre, daß man einen Zerstörungswillen gegen ihn hat (wer mag schon
Parasiten?) mit dem Gewehr aufsucht und sie reihenweise abknallt … Wehe, unser gewalttätiges
Verhalten fällt auf uns selbst zurück... Dann reagieren wir natürlich mit Abwehr. Schuld sind nur die
Computerspiele!
Gewaltphantasien, Machtphantasien (aus einem Machtvakuum entstanden) kann kein Medium
erschaffen – Medien können inspirieren, ausdrücken, sicherlich (und hinterher war Gutenberg für
„Mein Kampf“ verantwortlich), aber kein Medium dieser Welt erschafft einen Killer. Nicht einmal
einen Schläger.
Die Gewalt, die legitimiert ist, der Haß, der legitimiert ist, und die Atmosphäre in der wir uns seit
gut 10 Jahren bewegen – das ist bedrängend und fürchterlich. Nicht der Splatterfilm, nicht
irgendwelche übertriebenen Gewaltdarstellungen. Die schlimmste Gewaltdarstellung ist jene, die
kompatible zu dem Alltagserleben eines jeden ist – und die so opportunistisch dargestellt wird, daß
sich ihr jeder anschließen möchte, nur um „dazuzugehören“ (wie es damals ja auch bei Lisa Loch
der Fall war).
Vielleicht wäre es anzuraten, darüber einmal nachzudenken und nicht über ein fiktives Medium, das
zum Transport eines Unwohlgefühls auf exzessive Stilmittel zurückgreift.