soundjob

Tontüte & Hörspielfrisör
Sprechprobe
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Analysiert ihr denn eure Projekte, um rückschlussführend eure Arbeit/Workflow/Ideen zu optimieren ?

Um meine Skriptarbeit mit Hinblick auf Timing/Abläufe/Handlungspunkte zu verbessern, gehe ich gerne in eine Art strukturelle Nachanalyse meiner Projekte.
Alleine auch schon aus der reinen Neugierde, ob der Plot im Skript sich hinsichtlich Timing auch in etwa tatsächlich so im Hörspiel wiederfand, bzw. wie "treffsicher" im Vorfeld geschrieben wurde.

Beim Schreiben gehe ich hinsichtlich Timing i.d.R. nach Bauchgefühl und Gespür vor, mache mir aber genau so hinsichtlich Setzung von Handlungspunkten und zu bewältigende Hindernisse mit Bezug der Dramaturgie einer 3-Akt Struktur, meine Gedanken um das strukturelle Arrangement.
So halte und versuche ich es mit meiner mir auferlegten Regel, dass sich der dramatisch 1.Höhepunkt/Konflikt (nicht zu verwechseln mit dem "auslösenden Ereignis" bereits in der Exposition) i.d.R. nach allerspätestens Spielminute 10 zu erfolgen hat (mit Hinblick auf die gerne von mir produzierten 45Minüter).
Der nächste wichtige Schnittpunkt ist die absolute Hörspielmitte (oder auch Mitte des 2.Akt), vor welcher der "absolute Höhepunkt" erreicht werden müsse, um danach den Wendepunkt einzuleiten und das Finale anzusteuern.
Im wesentlichen liegt mein Bemühen stets darin, beim Schreiben/Plotten/Skripten, die Timeline mit Hinblick einer dramaturgischen Struktur zu beachten.
Ob mir dies auch in etwa gelingt/gelang, kann ich anhand des A/B-Vergleichs mit dem Skript und einer Analyse des fertigen Hörspiels nachvollziehen.
Dazu folgendes Beispiel aus meinem letzten Werk Die Insel des Todes

Zur kurzen Erläuterung folgender Tabelle, welche in 11/2 Minutenschritte unterteilt ist:
Im wesentlichen wird durch den "Dramaturgie Barometer", die Relation zwischen Handlungsreichtum und Dialoglastigkeit ermittelt.
Beides kann ein Indikator für Spannung sein... beides kann aber auch mit Hinblick auf Spannungsbögen Indikator für Langeweile sein, wenn sich Action oder Dialog als zu statisch erweist oder sich auch zu viel Zeit lässt, um den führenden Story-Faden wieder aufzunehmen.
An der Tabelle lässt sich durch die Verlaufskurve die zeitliche Abfolge wie auch Tempi der Ereignisse ablesen, als auch die (vorhandene/fehlende) Balance/Ausgewogenheit von Ereignissen.
In den grünen/blauen/roten Balken unter der Tabelle, ist die zeitliche Unterteilung der 3-Akte Struktur gegliedert, bzw. mit den roten Markern, der Plot auf der Timeline festgehalten.

grafikanalyse_inseldestodes.png

Abzulesen ist, dass es in der "1.Halbzeit" äußerst turbulent zur Sache geht und sich die Ereignisse zu überschlagen scheinen.
Beabsichtigt war hier auch eine möglichst actionreiche, intensive 1.Hälfte.
In der "2.Halbzeit" gönne ich der Geschichte und Zuhörer bewusst eine Atempause, bevor die Geschichte mit Hinblick auf das Finale im 3.Akt, wieder Fahrt aufnimmt. Der Spannungsbogen nimmt zwar wieder kontinuierlich an Fahrt auf, allerdings muss ich im Nachhinein sagen, dass dies auch zu lange dauert.
Die beiden letzten intensiven Spannungspunkte bei "Marker 6" und "Marker 3", liegen mit einer Lücke von ca. 21 Minuten (quasi die Hälfte des gesamten Hörspiels), zu weit voneinander entfernt und das Finale kommt letztlich etwas zu spät.
Die Balance geht hier etwas verloren, wie ich finde.
Ich wollte in der 2.Hälfte durchaus etwas dialoglastiger sein und der Geschichte ein klitzekleinwenig Tiefe mit dem Mysterium "Nosferatu" geben (welcher jüngeren Publikum ja nur als "Dracula" bekannt ist), allerdings ersehe ich im Nachhinein des Arrangements auch die klaffende Lücke in der "2.Halbzeit" hinsichtlich Handlungsreichtum zum Ende der Hälfte eins.

Tatsächlich habe ich bereits im Skript schon das Gefühl gehabt, dass mir die "2.Halbzeit" dramaturgisch zu langatmig erschien.
Ich kann zwar beim Schreiben anhand der Takes in etwa runterrechnen, in welcher Spielminute/Abschnitt ich mich ungefähr befinde, allerdings sagte mir mein Bauchgefühl, dass ich diese Entwicklung der Geschichte in Hälfte 2 unbedingt drin haben mochte.
An sich ist daran natürlich auch nichts verkehrt, eben auch das drin haben zu wollen, was man erzählen möchte.
Allerdings mit Hinblick auf Struktur, Spannungsbögen und Ausgewogenheit, sowie sich dadurch auch ein wenig daran zu orientieren, was vlt. eben auch der Zuhörer hören möchte/wolle, muss man auch reflektierend erkennen, den streichenden Rotstift benutzen und akzeptieren zu lernen... sonst gibt es unterm Strich keine Optimierung, finde ich.
Muss denn immer wirklich jedwede Idee, Satz, Passage verbaut werden, wenngleich sie für den akuten Verlauf der Story nicht so unbedingt einen wirklichen Mehrwert hat ?

Eben das finde ich persönlich nicht und daher aus der Analyse Rückschlüsse ziehe- vor allem weil mir bisher stets in einer "2.Halbzeit" meiner Hörspiele ein wenig das Gespür für das richtige Timing abhanden kommt und mehr Bauchgefühlentscheidungen treffe, hier durchaus den Rotstift auch mal stärker anzusetzen !
Ich weiß natürlich, dass es auch entsprechend Timeline-basierte Autorensoftware zum Plotten und Skripten gibt, jedoch möchte ich meine Intuition schon im Kreativprozess entsprechend optimierend schärfen, um auch meinen Workflow nicht nur zu beschleunigen, sondern vielmehr "treffsicherer" zu bekommen.

Wie geht ihr daran, um euch mit eurer Arbeit optimieren zu können ?
Welche Gedankengänge bewegen euch, bzw. wie analysiert ihr eure Projekte ?
Was gefällt euch i.d.R ganz gut an euren Prozessen, wo fühlt ihr euch da bzgl. "Treffischerheiten" wohl und gut liegend... und wo evtl. weniger ?
Was würdet ihr gerne anders machen wollen/können/dürfen ?

Vielleicht magt ihr ja ein wenig von euch, euren Prozessen und Arbeiten erzählen und euch ein wenig über die Schulter hinter die Kulissen blicken lassen ?
 
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Strom

SCHREIBEN • SINGEN • SPRECHEN
Sprechprobe
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Wieder sehr schön zusammengestellt 🙃

Ich gleiche hier und da auch immer mal ab, ob ich mich noch auf der Spur des Helden oder der Katze befinde - und zähle die Skriptseiten und (schon produzierten) Hörspielminuten nach 😜.

Muss denn immer wirklich jedwede Idee, Satz, Passage verbaut werden, wenngleich sie für den akuten Verlauf der Story nicht so unbedingt einen wirklichen Mehrwert hat ?

Gerade bei diesem Punkt bin ich jetzt öfter am Überlegen - und eher am Streichen.
Hatte auch das Gefühl, dass ich bei Garwindel, noch 'zu viel' einbauen wollte und auch eingebaut habe - Erklärung, Exposition durch Dialog, den man vermutlich in Wirklichkeit nie sagen würde, sich ja aber nun mal den Erzählerpart sparen wollte etc etc...
Ich versuche mich jetzt beim Schreiben auch eher an die Drehbuch-Maxime:
"in late, out early" zu halten. Klappt hier und da ganz gut. Schon etliches rausgeworfen. Klar - der eine oder andere Gimmick oder anheimelnde Abschweifung bleibt drin, weil man es ja auch 'gemütlich' haben und etwas die Charaktere mit Leben füllen möchte - und weil der eine oder andere 'überflüssige' Schlenker ja auch zum persönlichen Stil gehört. Ich schreibe das Hörspiel ja auch 'für mich (gerade auch meine lokal-realen)' und möchte mich da auch in meinen Hommagen suhlen und an mystischen längeren Erzählpassagen erlaben, da ist mir dann der dramaturgische Counter recht egal. 😁

Aber klar - es macht auf jeden Fall Sinn, das ganze Werk mal auf 'InteresseFesselungsFähigkeit' des Konsumenten zu testen.
 

Seance_of_Wonder

Neues Mitglied
Sehr interessant. @soundjob hast du die Grafik/Tabelle selbst entwickelt oder gibt es da eine Vorlage? Würde so etwas gerne selbst benutzen.
Ein Hörspiel auf eine Länge von 45 Minuten zu beschränken, finde ich übrigens ebenfalls sehr gut. Ich finde nämlich nach wie vor, dass die HG Francis Hörspiele die ideale Länge für eine Geschichte haben, und in meinen Versuchen würde ich diese Länge selbst anstreben.
Ansonsten orientiere ich mich am Beat-Sheet "Save the Cat" Modell, von Blake Snyder. Gefahr ist natürlich immer, dass man irgendwann eine Handlung zu sehr nach "Schema F" entwickelt (wenn ich Serien oder Filme schaue, entdecke ich sofort die Plot Points etc. und kann die weitere Entwickling meist auf die Minute vorhersagen, was den Spaß am Schauen etwas mindert). Da machts dann um so mehr Spaß, wenn es doch noch ein paar "Ausreißer" oder komplett unerwartete Twists gibt.
Ich habe als Sounddesigner und Musiker in den letzten 20 Jahren sehr viele Hörspiele vertont und davor auch einige Filme. Außerdem der Austausch mit vielen Autoren, Filmemachern usw., da lernt man auch noch mal einiges. Vor allem eines:
"Kill your Darlings!" :-D
 
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Lauschecke

Lauschecke
So ausführlich bin ich tatsächlich selbst nicht an meine Reflexionen gegangen. Ich hole mir da sehr gerne Rückmeldung von Außenstehenden, die oftmals ziemlich weit auseinandergehen. Aber genau darin liegt für mich das Zukunftspotential, weil mir dadurch andere Blicke auf den "Geschichten-Horizont" geöffnet werden. Gleichzeitig spornt es mich unheimlich an, gewisse Dinge dann beim nächsten Hörspiel wieder verbessert zu haben.

Für mich ist dadurch sehr viel rauszuhören, was ich dann beim nächsten Scripting beachten kann. Eine Selbstanalyse fällt mir persönlich im direkten Nachgang sehr schwer, aber etwa ein Jahr danach wird mein Blick dann schon eher neutraler.

Ich habe früher, als ich mich eher aufs Romane schreiben konzentriert hatte, eine Art Fragebogen erstellt, für den ich Freiwillige gesucht habe, die sich dann sowohl dem Buch, als auch dem Fragebogen gestellt haben. Da war der Fragebogen dann manchmal ausgetüftelter als die Geschichten selbst 😅

Kann mal gucken, ob ich den noch irgendwo auf meinen (uralten) Festplatten-Dateien von den Vorgänger-PCs finde. Wenn nicht, dann könnte man doch auch mal so eine Art Analysebogen erstellen, der dann für die "Nachbehandlung" der Hörspiele verwendet werden kann, wenn jemand explizit eine solche Analyse möchte. Dabei werden natürlich auch im Bestfall viele verschiedene Eindrücke gesammelt, die der Hörspielschreiber dann mitnehmen kann. Je nachdem in welche Prozesse man eingebunden ist, würden dann auch der Cutter, der Komponist, evtl. auch die einzelnen Sprecher, etc. eine sehr konkrete Rückmeldung erhalten. :cool:
 
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