AW: Wie schätzen andere unsere Stimmen ein ?
Hierzu möchte ich bemerken, dass ganz im Sinne Dagmars zwei Dinge grundlegend auseinanderzuhalten sind:
1. Das Menschen Ihre eigene Stimme zunächst schlecht abkönnen, wenn sie sie irgendwo aufgenommen anhören müssen, als wäre sie von jemand anderem - das ist ein weit verbreitetes Phänomen und hat auch viel mit Physik, Biologie und Psychologie zu tun. Wir als Sprech- und Hörbegeisterte können dieses Phänomen getrost lächelnd und entspannt wahrnehmen, den Grusel daran kurz "geniessen" und es dann als mögliches Hindernis für unsere Kreativät ad acta legen.
@Volker: vielleicht hast Du Dich auch etwas unglücklich ausgedrückt und meinst gar nicht die Stimme als solche, sondern bereits das, was Dagmar andeutet. Qualität von Stimme ansich ist ja aus der Geschmacksperspektive etwas sehr persönliches und schon deshalb als Diskussionsgegenstand in der Öffentlichkeit eher ungeeignet. Wenn hingegen im nicht wertenden Sinne Stimme zum Untersuchungsobjekt wird, dann fände ich einsammelnswert, was z.B. an logopädischen Erfahrungswerten dazu existiert. Aus dieser Branche haben wir hier ja auch ein paar, die sich mit uns im Forum tummeln.
Eine befreundete Logopädin hat mir beispielsweise von dem merkwürdigen Umstand berichtet, dass in ihrer Zunft eine ganze Kohorte an Frauen als "Patientinnen" auftauchen, weil sie plötzlich stimmlich nicht mehr weiterkönnen (oft auch berufsbedingt) und dann - mitunter bereits in ihren besten Jahren - erkennen müssen, dass sie sich seit frühen Zeiten eine Stimmlage antrainiert haben, die sich meist oberhalb ihrer eigentlich physiologisch gemässen Indifferenzlage befindet. So etwas finde ich sehr interessant, weil es in unterschiedlichen westlichen Kulturen auch unterschiedlich verbreitet ist - und beispielsweise mit der Sozialisation entlang an einem spezifischen Geschlechterrollenbild zusammenhängt: hohe Stimme steht ja eher für "klein", "hilfsbedürftig", "rührend, niedlich, sexy...", "attraktiv und beschützenswert" eben, je nach dem.
In puncto Stimme empfehle ich also jedem und jeder, lieber mal eher viel von sich selbst anzuhören...und sich dann einen Reim darauf zu machen........und bei Interesse eher ein Echo aus vertrauten Kreisen einzuholen.
Stimme ist immer auch ein Spiegel der eigenen Person, also durchaus auch intimes Gelände.
2. Womit wir uns sinnvoll auch weiterhin beschäftigen könnten hier im Forum, in dem inzwischen so unübersichtlich viele sind:
wie setze ich (s. Dagmar) meine Stimme als Werkzeug ein und welche Voraussetzungen bin ich überhaupt bereit zu schaffen, um auf gewollte Weise als SprechspielerIn mit der Stimme vielleicht sogar vielfältiger umgehen zu können, als ich es in meinem Alltag tue.
Grundsätzlich ist aller Ausgang dafür sicherlich zunächst ein waches Ohr für die eigene Stimme in allerlei alltäglichen und spontan natürlichen Zusammenhängen, denn - wer seine Stimme nicht kennt, kann mit ihr natürlich auch kaum bewusst und gezielt arbeiten, also wirkungsorientiert umgehen. Achtung! Hier gibts immer den Abzweig auf einen Irrweg.
Wie schon oft von mir empfohlen, setzt das Spiel mit der Stimme im wahrhaftigen Sinne erst dann ein, wenn ich nicht zuallererst mit der Wirkung, die ich erzielen will beschäftigt bin, sondern mit ihrem Anlass, ihrem Motiv überhaupt zu erklingen. Darum gibt es tatsächlich auch Schauspiel und Sprechen als (Berufs)Ausbildung. Mensch lernt über Jahre hinweg ( und hört damit bestenfalls nie auf ), auf den Punkt hin zu imaginieren, zu fokussieren - man könnte auch sagen, sich zutiefst entspannt dennoch mit schärfsten Sinnen zu konzentrieren - auf das, was wir Menschen allgegenwärtig (mal mehr mal minder) ohnehin ständig zur Verfügung haben: ein meist nie bewusst gemachtes reichhaltiges Spektrum an Sinneseindrücken im ständigen Abgleich mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Daraus resultiert dann, zumeist ebenfalls unbewusst z.B. der gemässe Ton, den wir anschlagen, sei es, wenn wir uns mit dem Hammer auf den Daumen handeln....oder als Francis Underwood (in der Serie House of Cards) scheinbar rührend um den U.S.Präsidenten bemühen, um mit besten macbeth'schen Absichten seinen Untergang zu bewerkstelligen.
Es geht um Bewusstmachung, um die Verabsichtlichung der Mittel, die ich dann im Laufe vieler Jahre, schnell und ohne Krampf, und scheinbar spontan zu einem zielbewussten (so die Aufgabenstellung an Schauspieler) Ganzen komponiere - und dass in jedem aufeinanderfolgenden Augenblick einer (imaginären) Situation. Hierzu liesse sich noch ungleich mehr sagen, da das alles noch einen Zacken komplexer ist - denn es geht ja bei Darstellung, also der "ZurGehörstellung" auch immer um ein augabenbezogenes Abwägen zwischen Eindruck und Ausdruck....
Wir aber sollten hier im Forum den Fokus weniger auf Hörspiel- oder Schausprechschule richten, sondern uns nach etwas einheitlicheren Beeten im Sprechgarten umsehen.
Ähnlich wie manche Tonstudios, die selbst anberaumte Sprechercastings mit Standardtexten unterschiedlicher Genres veranstalten, könnten wir vielleicht auch etwas konkreter werden in Hinblick auf das allererste "dreckige Dutzend" an Sprechproben.
Wenn jemand von Euch z.B. analog zu B.Brechts schönem Übungstext "Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei, da nahm der Koch den Löffel und schlug ..." Lust hat, sich ein Basisskript zu überlegen, mit dem dann jede/r Sprechproben willige - meinetwegen nach dem Motto: einmal eher leiser und introvertiert und einmal eher lauter und akklamierend bzw. appellierend - 12 mal über eine Emotionshürde geschickt wird....dann hätten wir so etwas wie viele bunte Blumen auf ein und derselben Almwiese.
Ich erinnere mich an mein erstes Vorsprechen am Mozarteum 1982 ( da konnte man sich noch ohne vorbereitete Sprechrolle bewerben und musste nur improvisieren ): auf einer Bühne stand ein Dreistufenpodest über das eine kreisförmig markierte Gehstrecke führte. Unten im Schatten sassen die Dozenten, und einer gab irgendeine mit Stichworten von mir zusammengestellte 3-Satz Aussage vor, mit der ich auf den Weg geschickt wurde.
Ich erinnere mich natürlich nicht mehr, aber es könnte so etwas sein wie:
" Heute morgen ist sie plötzlich weggegangen, ich weiss auch nicht wohin.
Ich war sicher, dass sie bald zurückkommen würde...und jetzt...
Also, mir reichts! Wenn sie nicht bald wieder da ist, dann passiert was, dann..."
In die neue Emotion begebe ich mich immer vorne an der Rampe. Sie steigert sich während des Rundwegs, auf dem man sich von hinten dem Podest nähert. Der Höhepunkt findet natürlich oben auf dem Podest statt und klingt dann wieder auf dem Weg nach unten und vorne an die Rampe ab, um von hierhaus in eine nächste Emotion umzuschlagen.
In meinem Fall gab es vorne, während ich unablässig die Phrase nach eigenem Gutdünken wiederholte, dann von einem aus der Jury auf Zuruf eine neue Gefühlslage, die ich bis zu einem Klimax entwickeln sollte.
Viele Durchgängein unterschiedlicher Reihung von Gefühlsentwicklung sind denkbar:
z.B.
1. Feststellung und Nachdenklichkeit bis hin zu hirnzermarternder Grübelei
2. Trauer bis zur absoluten Trostlosigkeit
3. Ärger bis hin zu schnaubender allesverzehrenwollender Wut
4. Verzweiflung bis hin zu allesvernichtender unfassbarer Panik
5. Amüsierte Betrachtung bis hin zum monströsen Lachkrampf
6. Argwöhnische Vorsicht bis hin zur bodenlosen Angst
undsoweiterundsofort.....das geht sicher noch besser und vielfacher.
Allein das Obengenannte in Verbindung mit einem dualen Ansatz und beispielsweise nur "auf dem Treppchen" könnte bereits einen solchen Fächer aufschlagen. Angenommen wir würden ab einem bestimmten Zeitpunkt darum bitten, zunächst mindestens mit diesem Standardtext im Hürdenlauf umzugehen, bevor weitere eigene Leckereien das Menu anreichern:
wir hätten in Hinblick auf Castings vielleicht für viele Hörspielmacher eine besser einzuschätzende Vergleichbarkeit dessen, was unsere Sprecherinnen hier so anbieten.
Was haltet Ihr davon.
Ich jedenfalls bin für Nägel mit Köpfen beim Thema "Diskutieren wir doch mal unsere Stimmen" - vielleicht haben wir so mehr von uns und treten uns dennoch nicht zu nah.
Schönen 1.Advent noch,
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