- #21
Themenstarter/in
AW: Welches Buch lest Ihr zur Zeit?
Um mich noch ein wenig um den "Medicus" herumzudrücken, habe ich (nach vielen Jahren) mal wieder die "Schachnovelle" von Stefan Zweig gelesen, was immer wieder - der Ernsthaftigkeit der Geschichte zum Trotz - ein großes Vergnügen ist. In diesem Zuge habe ich gleich einen weiteren kurzen Roman angefangen, nämlich "Sich lieben" von Jean-Philippe Toussaint. Der Originaltitel des Buches ist "faire l'amour", was (meinem sehr schlechten Schulfranzösisch zufolge - Kundigere mögen mich korrigieren) "Liebe machen" bedeutet, und die Doppelbödigkeit des Übersetzungstitels vermissen läßt. Liebt man in einer Beziehung nicht immer einander, und nicht primär sich?
Meines Erachtens ein sehr treffender Übersetzungstitel, denn es geht um eine Beziehung, die sich totgelaufen hat. Sie muss geschäftlich nach Tokio, und er begleitet sie zu einem Zeitpunkt, da die Trennung noch nicht ganz vollzogen ist, aufgrund der Befürchtung, man könnte einander vermissen und somit die Verbindung doch weiterführen.
Ich will und kann (da ich erst in der Mitte des Buches bin) nicht rezensieren, aber möchte sagen, dass mich das Buch bis jetzt zutiefst berührt hat. Jeder, der einmal eine Trennung von einem einst geliebten Menschen erlebt hat, kennt das kalte, blasse Empfinden, wenn Berührungen ersterben, wenn aus der einstigen Romantik, aus der so bedeutungsvollen Mimik, den kleinen Berührungen nur noch eine kalte Mechanik wird und sich jede noch so zärtliche Umarmung anfühlt wie der betäubte Arm kurz vor einem chirurgischen Eingriff.
Während Toussaint immer wieder kleine Rückblenden zum Anfang der Beziehung einarbeitet, gelingt es ihm auf kunstvolle Weise, der beiderseitigen Verzweiflung und Fassungslosigkeit ob der erstorbenen Gefühle eine ebenso kalte wie mechanische Sprache zu verleihen. Besonders in einer Liebesszene macht er dies in wunderbaren Sprachbildern deutlich:
"Ich hatte das Gefühl, daß sie sich meines Körpers bediente, um an mir, gegen mich zu masturbieren, daß sie ihre Verzweiflung an meinem Körper rieb, um sich in der Suche nach einem gefährlichen, glühenden und einsamen Genuß zu verlieren, schmerzhaft wie eine lang schwelende Brandwunde und tragisch wie das Feuer des Bruchs, den wir im Begriff waren zu vollziehen, und genau dasselbe Gefühl dürfte sie auch in bezug auf mich empfunden haben, denn seitdem unsere Umklammerung zu jenem Kampf zweier paralleler Gelüste geworden war, nicht mehr zueinander-, sondern auseinanderstrebend, antagonistisch, als würden wir uns gegenseitig die Lust streitig machen, statt sie zu teilen, hatte auch ich mich schließlich wie sie auf die Suche nach einer rein onanistischen Lust konzentriert. Und je länger diese Umarmung dauerte, je mehr die sexuelle Lust anstieg wie Säure, um so stärker spürte ich die schreckliche unterschwellige Gewalt dieser Umarmung anwachsen."
-Seite 28ff.
Ein bisher sehr ergreifendes Buch, das in einer Wunde rührt, die wohl die meisten von uns teilen. Überdies eine scheinbar sehr gelungene Übersetzung - obgleich es sehr schade ist, dass mein Französisch viel zu schlecht ist, um mich an der Originalausgabe zu versuchen. Aber vielleicht wird der ein oder andere hier das tun oder hat es bereits getan - erscheint mir auf jeden Fall sehr empfehlenswert.
Um mich noch ein wenig um den "Medicus" herumzudrücken, habe ich (nach vielen Jahren) mal wieder die "Schachnovelle" von Stefan Zweig gelesen, was immer wieder - der Ernsthaftigkeit der Geschichte zum Trotz - ein großes Vergnügen ist. In diesem Zuge habe ich gleich einen weiteren kurzen Roman angefangen, nämlich "Sich lieben" von Jean-Philippe Toussaint. Der Originaltitel des Buches ist "faire l'amour", was (meinem sehr schlechten Schulfranzösisch zufolge - Kundigere mögen mich korrigieren) "Liebe machen" bedeutet, und die Doppelbödigkeit des Übersetzungstitels vermissen läßt. Liebt man in einer Beziehung nicht immer einander, und nicht primär sich?
Meines Erachtens ein sehr treffender Übersetzungstitel, denn es geht um eine Beziehung, die sich totgelaufen hat. Sie muss geschäftlich nach Tokio, und er begleitet sie zu einem Zeitpunkt, da die Trennung noch nicht ganz vollzogen ist, aufgrund der Befürchtung, man könnte einander vermissen und somit die Verbindung doch weiterführen.
Ich will und kann (da ich erst in der Mitte des Buches bin) nicht rezensieren, aber möchte sagen, dass mich das Buch bis jetzt zutiefst berührt hat. Jeder, der einmal eine Trennung von einem einst geliebten Menschen erlebt hat, kennt das kalte, blasse Empfinden, wenn Berührungen ersterben, wenn aus der einstigen Romantik, aus der so bedeutungsvollen Mimik, den kleinen Berührungen nur noch eine kalte Mechanik wird und sich jede noch so zärtliche Umarmung anfühlt wie der betäubte Arm kurz vor einem chirurgischen Eingriff.
Während Toussaint immer wieder kleine Rückblenden zum Anfang der Beziehung einarbeitet, gelingt es ihm auf kunstvolle Weise, der beiderseitigen Verzweiflung und Fassungslosigkeit ob der erstorbenen Gefühle eine ebenso kalte wie mechanische Sprache zu verleihen. Besonders in einer Liebesszene macht er dies in wunderbaren Sprachbildern deutlich:
"Ich hatte das Gefühl, daß sie sich meines Körpers bediente, um an mir, gegen mich zu masturbieren, daß sie ihre Verzweiflung an meinem Körper rieb, um sich in der Suche nach einem gefährlichen, glühenden und einsamen Genuß zu verlieren, schmerzhaft wie eine lang schwelende Brandwunde und tragisch wie das Feuer des Bruchs, den wir im Begriff waren zu vollziehen, und genau dasselbe Gefühl dürfte sie auch in bezug auf mich empfunden haben, denn seitdem unsere Umklammerung zu jenem Kampf zweier paralleler Gelüste geworden war, nicht mehr zueinander-, sondern auseinanderstrebend, antagonistisch, als würden wir uns gegenseitig die Lust streitig machen, statt sie zu teilen, hatte auch ich mich schließlich wie sie auf die Suche nach einer rein onanistischen Lust konzentriert. Und je länger diese Umarmung dauerte, je mehr die sexuelle Lust anstieg wie Säure, um so stärker spürte ich die schreckliche unterschwellige Gewalt dieser Umarmung anwachsen."
-Seite 28ff.
Ein bisher sehr ergreifendes Buch, das in einer Wunde rührt, die wohl die meisten von uns teilen. Überdies eine scheinbar sehr gelungene Übersetzung - obgleich es sehr schade ist, dass mein Französisch viel zu schlecht ist, um mich an der Originalausgabe zu versuchen. Aber vielleicht wird der ein oder andere hier das tun oder hat es bereits getan - erscheint mir auf jeden Fall sehr empfehlenswert.