Poldi

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Tante Julia und der Kunstschreiber

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Erster Eindruck: Ein Hörspiel (unter anderem) über Hörspielmacher

Der junge Student Mario verdient sich nebenher ein wenig Geld als Nachrichtenredakteur – und muss lediglich Zeitungsartikel ein wenig umformulieren. Denn das Publikum will vorrangig die Hörspiel-Seifenopern hören. Autor, Produzent und Sprecher auf einmal ist dabei Pedro, der es mit der Kontinuität nicht ganz so genau nimmt. Und dann ist da noch Marios attraktive Tante Julia, in die er heimlich verliebt ist...

Mario Vargas Llosa, peruanischer Autor und Träger des Literaturnobelpreises, kann auf etliche Auszeichnungen für seine Werke zurückblicken. Dazu gehört auch der Roman „Tante Julia und der Kunstschreiber“ aus dem Jahre 1977, welches nun auch in der Hörfassung des Schweizer Radios beim Hörverlag erhältlich ist. Satte 10 CDs werden von der Geschichte ausgefüllt, die eine Mischung aus Liebesgeschichte und Satire darstellt. Besonderes Augenmerk verdienen die Hörspielszenen in dem Hörspiel, die in die Handlung eingeflossen sind und schon abstruse Züge annehmen können. Die übertriebene Darstellungsweise und die verdrehte Handlung sind urkomisch und bilden immer wieder Highlights innerhalb des Romans. Dieser wird dominiert von langen Erzählparts, die teilweise schon eher an ein Hörbuch als an ein Hörspiel erinnern. Hier hätte ein wenig mehr Bewegung hereinkommen können, aber auch so ist das Werk sehr unterhaltsam. Die Vorgehensweise des peruanischen Radiosenders ist sehr humorvoll beschrieben und fördert immer neue Überraschungen zu Tage, während sich auch die Liebesgeschichte zwischen Mario und seiner Tante Julia in gewitzter Weise entwickelt und stets ein Lächeln auf den Mund des Hörers zaubern kann. Es tut gut, mal eine völlig andere Art von Geschichte zu hören, das sich dem momentanen Hörspielmarkt entzieht und nebenbei auch noch selbst Hörspiele parodiert und ins Lächerliche zieht. Ein großer Roman, sehr einfallsreich und kurzweilig inszeniert – eine Empfehlung ist es allemal wert!

Fast alle Sprecher waren mir vorher unbekannt, ihre Stimmen werden somit noch nicht von anderen, prägenden Rollen verglichen. Dazu kommt, dass alle ihre Rollen mit Hingabe und einem Schuss Ironie sprechen. André Jung ist in der Hauptrolle des Mario zu hören, neben den Dialogen ist er auch für viele Erzählparts verantwortlich. Diese Doppelbelastung meistert er jedoch vorzüglich und kann mit seiner variablen Stimmfärbung überzeugen. Tante Julia wird von Herlinde Latzko gesprochen, die immer einen leicht verführerischen Unterton in ihre Interpretation legt und somit ein wenig zur Femme Fatal wird. Christoph Bantzer sorgt als gewitzter Pedro Camacho für etliche Lacher und komische Situationen. Weitere Sprecher sind Alfred Urankar, Reinhard Sannemann und Renate Müller.

Über weite Teile der Handlung ist keine Musik zu hören, wenn sie aber doch einmal auftaucht, erinnert sie an zurückliegende Swing-Epochen. Das macht Spaß und passt in die Zeit, in der der Roman entstanden ist. Auch Geräusche wurden nicht übermäßig eingefügt, nur einige setzen Akzente und machen die Handlung greifbarer. So stehen die Sprecher ganz im Vordergrund, was sehr zu dieser Geschichte passt.

Die 10 CDs befinden sich in einem Pappschuber, jeweils zwei zusammen in einer normalen CD-Hülle – gut so, denn so wirkt die Verpackung nicht überdimensioniert. Das Titelbild ist schlicht aber raffiniert und passend zur Geschichte gestaltet. Die Booklets enthalten zahlreiche zusätzliche interessante Informationen, während der Rest recht schlicht aufgemacht wurde.

Fazit: Ein Hörspiel fernab vom heutigen Mainstream, vielmehr eine auf den Punkt gebrachte Interpretation des bekannten Romans, ausgestattet mit Witz und Herz.

VÖ: 12. November 2010
Label: Der Hörverlag
Bestellnummer: 978-3-86717-725-2
 
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