Noir

chronisch mies gelaunt
Dann möchte ich hier auch noch mal ganz kurz meine Meinung zum Thema "Kritik" und "Feedback" für Sprecher bringen.

Zunächst einmal allgemein zum Begriff "konstruktive Kritik". Mir ist in vielen Diskussionen rund um kreative Dinge (nicht nur hier im Forum) aufgefallen, dass "konstruktive Kritik" so eine Art Kampfbegriff geworden ist. Natürlich ist es schön und gut, wenn ich genau den Finger in die Wunde legen kann und sagen kann: "Da ... Das würde ich mir anders wünschen. Und zwar so: ... " - aber wenn ich das mache, sind die Betroffenen sehr schnell beleidigt. Beginnen sich zu rechtfertigen und zu diskutieren ("Ich hab sooo viel Arbeit reingesteckt! Kannst du das nicht bitte cool finden?! Guck doch mal hier finden das sonst doch auch alle cool!") und im schlimmsten Fall wird mir vorgeworfen, ich würde alles mies reden. Gerne wird dann auch behauptet, diese Kritik sei nicht konstruktiv gewesen. Aber mehr als zu sagen, WAS mich gestört hat ... kann ich schlecht machen. Ich bin kein Schauspieler. Ich bin kein Dozent. Kein Arzt. Ich kenne kaum irgendwelche Techniken, außer denen, die ich mir selbst beigebracht habe oder die ich zwischen Tür und Angel mal von anderen Leuten aufgeschnappt habe.

Und was mache ich, wenn ich ein Hörspiel höre und ich bei einem Sprecher etwas nicht mag, was diese Person gar nicht groß ändern kann? Beispielsweise die Stimmfarbe. Behalte ich das für mich? Ich finde nicht, dass man das für sich behalten sollte. Ein "Sprecher XYZ hat mir nicht gefallen" kann auch wertvoll sein. Klar ist es besser, wenn ich genau sagen kann, was mir nicht gefallen hat und was ich wie anders machen würde. Aber das ist nicht immer möglich. Und sich dann bockig hinzustellen und einen großen Streit vom Zaun zu brechen ... tjo ... das ist halt scheiße. Ich hab hier als ich 2009 zum Hoertalk kam immer gerne Feedback gegeben. Zu allem. Und ich hab mich auch über Feedback zu meinem Zeug gefreut. Und negatives Feedback zu mir hat mir genauso weh getan. Trotzdem war es wichtig und richtig. Aber heute? Ich schreibe keine Feedbacks mehr. Das wurde mir ziemlich vergrätzt.
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
Sprechprobe
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Prima. Ja ich denke, so werde ich da auch machen.

Und von wegen Regie/Anweisungen etc. - bin durch eine Funktion des Programms sogar auf die Idee für eine Szene gekommen, die ich einfach mal ausprobieren möchte. Könnte man vermutlich auch anders/traditionell 'hintereinanderweg' schreiben - aber die Dual Dialogue Funktion brachte mich auf Folgendes. Mal sehen ob das dann im Skript soweit für die Performance verständlich ist und funktioniert ;)
Anhang anzeigen 33250
das habe ich tatsächlich noch nie genutzt!
😳
 

Marvin Kopp

Marvin Kopp
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Finde die Diskussion auch gerade ganz interessant. Ich persönlich sehe auch ein sehr großes Potential im spielen ohne Regieanweisung, weil es mir ermöglicht unverfälscht aus der Situation vielleicht einen Vorschlag zu machen, an den der Regisseur gar nicht gedacht hat. Ich finde vieles ergibt sich aus dem Kontext. Sobald ich sehe "wütend" oder "traurig" kann es schnell passieren, dass ich mich darauf einschieße. Das gibt meistens ein solides Ergebnis, keine Frage, aber ich betrachte es nicht mehr unvoreingenommen. Das gilt übrigens nicht für die Lautstärke. Wenn da was explodiert, möcht ich das wissen :D Natürlich kann ich aber auch den Regisseur verstehen, der er da zur Vermeidung von Retakes, für sich eine Klarheit haben will und gerade für Leute die noch unerfahren sind, ist das eine sehr gute Stütze. Mir hilft das immer total, wenn da z.B steht in der Szene versuchen wir Person Xy zu überreden jemanden umzubringen. So ne kurze Zusammenfassung was abgeht^^

Man muss sich bei Kritik glaub ich immer bewusst sein, wer einem da gegenüber sitzt. Wenn man mir sagt, sorry war scheiße. Dann mach ich das nochmal, das juckt mich nicht. Ich bin da mittlerweile ziemlich gesettled. Für einen Anfänger kann Kritik auch sehr vernichtend sein. Gerade wenn es sehr viele neue Themenbereiche anstößt. Stimmsitz, Artikulation, Emotion, Betonung, Dialekt usw. Und da ist es dann glaub ich manchmal besser sich ein zwei Sachen rauszupicken, um nicht zu überfordern. Ist natürlich auch von Typ zu Typ unterschiedlich. Manche stecken sowas locker weg. Muss man deshalb glaub ich sehr individuell betrachten :)
 

Super8

Fröhlicher Pessimist
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Ein "Sprecher XYZ hat mir nicht gefallen" kann auch wertvoll sein. Klar ist es besser, wenn ich genau sagen kann, was mir nicht gefallen hat und was ich wie anders machen würde. Aber das ist nicht immer möglich. Und sich dann bockig hinzustellen und einen großen Streit vom Zaun zu brechen ... tjo ... das ist halt scheiße.

Ja, das ist es. Für eine Kritik ist es wichtig zu sagen, was einem nicht gefällt. Ich finde vieles scheiße... aber ich kann nicht immer erklären, warum. Dann ist es einfacher, nichts zu sagen.
Viele Leute glauben, daß ihr Geschmack für andere relevant ist. Das ist er nicht!
Was soll denn an dem Satz: "Das hat mir nicht gefallen!" wertvoll sein und vor allem für wen? Wenn du aber sagen würdest, der Sprecher passte nicht ins Ensemble, er konnte dem Spielwitz der anderen Sprecher nicht entsprechen. Dann ist das immer noch deine Meinung und dein Geschmack, aber der Sprecher könnte daraus mitnehmen, daß er sich noch mehr auf die anderen Sprecher hätte eingehen können. (Ja, ich weiß, das ist kein so gutes Beispiel, weil heutzutage jeder in seiner Kabine hockt, aber ich bin viel zu faul um das jetzt neu zu tippen.)
Einfach zu sagen: "Das ist Scheiße!" ist keine Kritik.
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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Ich kann mich gut an eine Szene aus Dark Space 4.1 erinnern. In einer der Rückblenden ging es um eine Szene in der Wüste. Obwohl ich in der Beschreibung der Szene deutlich gemacht htte, dass ein Sandsturm aufzieht und diese immer heftiger wird sprachen beide Sprecher locker und entspannt drauf los. Ich musste hier explizit schreiben, dass die beiden gegen den Wind anschreien müssen um sich verständlich zu machen. Fazit? Nur weil ich meine, die Szene ja beschreiben zu haben, muss das nicht bedeutet, dass das dann auch jeder sofort versteht. Seit dem schreibe ich so etwas explizit mit in die Regieanweisung rein. @Marvin Kopp Es ist immer gut, wenn Sprecher interpretieren und etwas anbieten. Das kann aber immer nur On Top sein. Der Autor denkt sich ja etwas bei seinen Anweisungen im Skript. ;-) dann sind zusätzliche Takes aber immer willkommen.
 

Noir

chronisch mies gelaunt
Dann ist es einfacher, nichts zu sagen.

Und genau das halte ich für falsch. Klar, man muss natürlich nicht in den Thread "kotzen" und sagen, dass jemand einfach von vorne bis hinten scheiße gesprochen hat. Benehmen muss man sich natürlich.

Viele Leute glauben, daß ihr Geschmack für andere relevant ist. Das ist er nicht!
Was soll denn an dem Satz: "Das hat mir nicht gefallen!" wertvoll sein und vor allem für wen?

Wenn jemand schreibt: "Noir hat mich leider nicht überzeugt." ist das eine Meinung. Wenn aber mehrere Leute sagen, dass ich sie nicht überzeugt habe, dann kann ich durchaus einen Wert daraus nehmen. Nämlich den, dass das, was ich da gemacht habe, vielen Leuten nicht zusagt. Das kann ich jetzt stehen lassen und mich nicht darum kümmern und weiter mein Ding durchziehen. Dann ist das so. Aber ich kann auch die einzelnen Leute anschreiben und mal direkter nachhaken und fragen, was gestört hat. Und ganz wichtig: Wenn dann Antworten kommen, die weh tun (und das kann durchaus sein), darf man das halt nicht persönlich nehmen, sondern muss versuchen was mitzunehmen. Ich möchte nicht auf Meinungen und Geschmäcker von anderen verzichten. Weil sie in meinen Augen hier, bei dem was wir tun, eben sehr wohl relevant sind. Wenn ich zuhause meiner Frau einen Witz erzähle, interessiert mich null, ob mein Nachbar den witzig findet. Aber wenn ich einen Witz auf einer Bühne vor meiner Frau und meinem Nachbarn erzähle ... dann ist der Geschmack und die Meinung des Nachbarn natürlich relevant. Auch wenn er mir nicht sagen kann, warum er meinen Witz scheiße findet oder in welcher Form ich es hätte witziger machen könnte. "Konstruktive Kritik" hin oder her. Wir produzieren hier Hörspiele, die wir in die Welt hinauspusten, damit sie gehört werden. Und Feedback besteht eben nicht nur aus "konstruktiver Kritik".
 
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