Poldi

Mitglied
Gruselkabinett – 105. Mitternachtsweg

gk-105.jpg


Erster Eindruck: Femme Fatal und ein Seemannsfriedhof

Peter Maydell erhält ein weiteres Manuskript von dem jungen Autor Johannes Kieland, dem er schon zu einigen Veröffentlichungen verholfen hat. Doch der neue Text ist laut eigenen Aussagen autobiographisch und berichtet von der Begegnung mit der wunderschönen Herma Marie Brandt, die unter tragischen Umständen ihren Geliebten verloren hat...

Normalerweise vertont Titania Medien für seine Gruselkabinett-Reihe lediglich ältere Geschichten – mal ausgenommen die bisher zwei von „Per McGraup“ selbstverfassten Titel. Eine große Ausnahme hiervon gibt es jetzt mit „Mitternachtsweg“ des deutschen Autors Benjamin Lebert – es ist eine sehr lohnenswerte Ausnahme. Denn um kurz vorweg zu greifen: Mitternachtsweg gehört zu den besten Folgen des Gruselkabinetts der letzten Zeit. Erzählt wird eine recht verschlungene Handlung, die in der heutigen Zeit spielt und schon früh Spannung aufbauen kann. Dabei konzentriert sich die Folge auf die Beziehung zwischen Johannes und Herma, die zur zentralen Figur wird. Geheimnisvoll, fast schon mystisch und undurchdringlich fasziniert sie schnell und zieht den Hörer – ebenso wie Johannes – in ihren Bann. Immer weiter dringt Johannes in das Mysterium um die bildhübsche Frau ein, das eng mit einem Seefahrerfriedhof auf Sylt zusammenzuhängen scheint. All das verbindet sich zu einer sehr dichten Atmosphäre voller Faszination, Abgründe und Misstrauen, die den Hörer 80 Minuten völlig in seinen Bann ziehen kann. Besonders gelungen ist dabei das Ende, das erschreckende Zusammenhänge deutlich macht und tiefer gehende Bedeutungen offenbart. Eine hervorragende Geschichte, ebenso hervorragend inszeniert.

Marius Claren ist als Johannes Kielland eine sehr gute Wahl, sehr professionell und gefühlsbetont gibt er die ganz unterschiedlichen Stimmungen des Protagonisten wieder und kann so einen sehr greifbaren und authentischen Eindruck hinterlassen. Die wunderbare Melanie Hinze zeigt als Herma mal eine ganz andere Seite von sich, spielt sehr facettenreich und erschafft so eine wunderbare, undurchschaubare Figur, die die Handlung tragen kann. Auch Eckart Dux überzeugt als Peter Maydell auf ganzer Linie, mit seinem knarzigen Klang kann er seine Passagen sehr dynamisch gestalten. Weitere Sprecher sind Lutz Reichert, Herma Koehn und Constantin von Jascheroff.

Passend zu dem aktuellen Roman wurde hier auch eine etwas modernere Variante des typischen Gruselkabinett-Feelings erschaffen, wobei sich dies in einigen Nuancen zeigt. Da wird mal mit stampfenden Beats eine Club-Atmosphäre geschaffen, da sind die Geräusche moderner und an die heutige Zeit angepasst. Doch auch hier wurde wieder sehr akkurat gearbeitet, sodass eine dichte und fesselnde Atmosphäre entstanden ist.

Auch das Cover nimmt hier eine Ausnahmerolle an, wirkt aber immer noch wie aus einem vorigen Jahrhundert entsprungen. Doch die romantische Sonnenuntergangsszene mit den händchenhaltenden Spaziergängern und dem weit entfernten Leuchtturm hat nichts düsteres an sich und wirkt fast schon ein wenig kitschig. Auch hier gibt es kein Bonusmaterial mit Ausnahme des kleinen Fotos von Benjamin Lebert auf der Rückseite.

Fazit: Das Experiment, einen modernen Roman für das Gruselkabinett zu vertonen, ist äußerst gut gelungen, woran sicherlich auch an die stimmungsvolle und mystische Vorlage einen großen Anteil hat. Die passend besetzten Sprecher und die sanft-moderne Vertonung machen Mitternachtsweg zusätzlich zu einer der besten Episoden der letzten Zeit.

VÖ: 8.Oktober 2015
Label: Titania Medien
Bestellnummer: 978-3-7857-5168-8
 
Oben