Poldi

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Der Untertan (Heinrich Mann)

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Erster Eindruck: Erstmals als Lesung

Diederich Heßling, Sohn eines dominanten Vaters und einer fast schon weltfremden Mutter, drückt sich nach der Schule vor dem Militär und erbt die Papierfabrik seines Vaters. Dabei buckelt er nach oben und unterwirft sich den Machtstrukturen, nur um sie sich selbst zu Nutze zu machen und bald zum einflussreichsten Mann seiner Heimatstadt aufzusteigen...

Mit „Der Untertan“ hat Heinrich Mann einen Roman erschaffen, der in wenigen Worten nacherzählt werden kann, der aber so scharfsinnig erzählt und mit fast schon unscheinbaren Details ausgestattet ist, dass er eine ganze Gesellschaftsstruktur zu Zeiten von Kaiser Wilhelm persifliert und an den Pranger stellt. Der NDR hat nun – nach einer Hörspielumsetzung aus dem Jahr 1971 – eine Hörbuchversion produziert und im Nachgang beim Hörverlag auch auf CD veröffentlicht. Es ist kein Spannungsroman, es ist auch nicht wirklich kurzweilig, aber durch die genaue Beschreibung des Lebens von Heßling über mehrere Jahrzehnte hinweg sehr unterhaltsam, da Mann sein katzenbucklerisches und obrigkeitshöriges Leben fast schon sarkastisch kommentiert und nichts Gutes an seinem Wesen lässt. Er seziert ihn bis ins Detail, nur um seine feige Persönlichkeit aufzudecken. Was damals ein Schlag ins Gesicht der Gesellschaft war, funktioniert auch heute noch, und das nicht nur als lebendiger Geschichtsunterricht, sondern als Portrait eines Mannes, als Gesellschaftskritik, in der man auch heute noch viele Wahrheiten finden kann. Ein sehr hörenswerter Roman, der jedoch Zeit, Aufmerksamkeit und viel Durchhaltevermögen verlangt.

Hans Korte hat den Roman eingesprochen und gestaltet die fast 1000 Minuten (über 16 Stunden) mit viel Energie. Er greift Manns mal scharfen, mal süffisanten Unterton auf, lässt dabei immer neue Facetten durchschimmern und schafft so trotz der langen Laufzeit eine spannende Stimmung. Dabei schlägt er viele kleine Bögen, klingt dynamisch und kraftvoll und hält den Leser so bei der Stange. Mir gefällt besonders seine wörtliche Rede, die er ohne großes Stimmverstellen sehr lebensnah und präsent gestaltet.

Das Coverdesign kann überzeugen und weckt die richtigen Erwartungen an das Hörbuch. Zu sehen ist ein typisches Portrait aus der wilhelminischen Gesellschaft, einen Mann mit erhobenen Zeigefinger, ernstem Blick Schnauzbart und reich mit Ehrenbändern dekorierter Anzug, im Hintergrund sind als Silhouetten Fahnen, Standarten und das Konterfei von Kaiser Wilhelm zu sehen. Die dicke, stabile Box, die die einzelnen CDs umgibt, bestätigt diesen positiven Eindruck.

Fazit: Kein einfaches Hörbuch, es will in den geschichtlichen Kontext eingeordnet und aufmerksam gehört werden, um alle Nuancen aufnehmen zu können. Doch es lohnt sich, denn das Portrait, das Mann von seinem Protagonisten und der Gesellschaft zeichnet, ist nicht nur sehr eingängig dargestellt, sondern lässt auch heute noch interessante Gedankenansätze zu.

VÖ: 28.Juli 2014
Label: Der Hörverlag
Bestellnummer: 978-3-8445-1166-6
 
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