Matze
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„Ein Bild ist – bevor es ein Schlachtpferd, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine plane Fläche, die in einer bestimmten Ordnung mit Farben bedeckt ist“, beschreibt Maurice Denis den Ausgangspunkt, mit dem ich die Arbeiten von Margareta Hesse ergründen möchte. Daraus wird in der Mitte des 20. Jahrhunderts der einflußreiche Kritiker Clement Greenberg die These ableiten, „daß der eigene und eigentliche Gegenstandsbereich jeder einzelnen Kunst genau das ist, was ausschließlich in dem Wesen ihres jeweiligen Mediums angelegt ist“. Für die Malerei soll dieses Eigentliche vor allem in der „Betonung der unvermeidlichen Flächigkeit des Bildträgers“ bestehen. Von diesem Standpunkt aus erscheint realistische Kunst als Verleugnung des Mediums und surrealistische Malerei bloß als „gemalte Literatur“. Geht man stattdessen von einem erweiterten Modernebegriff aus, der den Realismus und die historischen Avantgarden mit umfaßt, dann läßt sich die Eliminierung des Literarischen aus der Malerei als eine Bestrebung innerhalb der bildkünstlerischen Moderne ausmachen, die nicht zuletzt deshalb als das entwicklungslogische Prinzip der postmodernen Malerei erscheinen konnte, weil sie durch einen programmatischen Begriff gestützt wurde. Die Kunstwelt zerfällt in zwei Hälften: in eine, die an einem pathetischen, kritischen Kunstbegriff festhält und von ‚Kunst’ erwartet, daß sie neue Sichtweisen eröffnet, durch visuelle Schocks und Verführungen das Sehen und Denken nachhaltig ändert, vorsprachlich etwas aufscheinen läßt, was anders nicht formulierbar ist – und in eine, die zwischen Kunst, Design und Kunsthandwerk nicht mehr trennen mag und nur noch danach urteilt, ob etwas „formal gelungen“ ist. "Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet" – Joseph Beuys ließ auf seine Worte 1964 eine Aktion folgen. Das Schweigen – oder vielmehr: die Verweigerungsstrategie – seines Kollegen konterkarierte Beuys, indem er Duchamps Readymade–Idee durch seine eigene Theorie der "sozialen Plastik" erweiterte. Künstler sind so wichtig wie die Politiker, in ihrer Fähigkeit, die Welt zu verändern. Die moderne Kunst spiegelt die Werte und die Sorgen unserer Gegenwart, dem Publikum werden Türen geöffnet über neue Art und Weisen, wie wir unseren Werten Ausdruck verleihen können. So kann man sich mit der Kunst des 21. Jahrhunderts Zeit ins Benehmen setzen. Auch aktuell stellt sich die Frage, ob sich auf intelligente Weise Kunst produzieren läßt, indem man konzeptuelle Hermetik auf der einen sowie frischfrommfröhliche Malerei auf der anderen Seite gewissermaßen am Schopf packt und in eine ganz andere, eigene Richtung zerrt.
Margareta Hesse, die seit 1995 Professorin an der Fachhochschule in Dortmund ist, ist eine Figur der Ermutigung vor allem für junge Künstlerinnen. Den Versuch, ihre Werke als feministisches Statement zu lesen, zum Beispiel weil sie den weiblichen Körper und seine Verletzbarkeit zu einer Zeit sichtbar machte, als dies für andere Künstlerinnen schon eine politische Aussage war, wies sie selbst zwar oft zurück. Aber nicht zuletzt, weil solche Lesarten möglich waren, waren ihre Werke auch in vielen männlich dominierten Sammlungen begehrt als Beleg für die Aufgeschlossenheit gegenüber Künstlerinnen. Ihre Bilder stellen keine Zitate der ikonischen Moderne dar oder Anspielungen auf bestimmte Schulen oder Agenden, sondern streben trotzig nach Bewahrung ihrer eigenen Autonomie. Das Poetische und das Mechanische gehen in vielen Arbeiten eine spielerische Verbindungen ein, die auch gerade da, wo sie das Schöpferische der Kunst zu ironisieren scheinen, nie die Lust am Narrativen und an einer zärtlichen Zugewandtheit zu jeder Form von Entstehungsprozeß verlieren.
Ihre Kunstwerke haben etwas Lukullisches, wie es Bertolt Brecht nannte. Die Form darf nicht abgelöst werden vom Inhalt, und der Inhalt braucht eine angemessene Form. Während ihre frühen Arbeiten mit ihren (de)konstruktivistischen Anleihen von einer Hard–Edge–Ästhetik geprägt sind, zeigt sich in den jüngeren Projekten wie »einmal auf dem wasser gehen und in die tiefe sehen« von urbanem Maßstab mehr und mehr eine Tendenz zur Verflüssigung, indem sich die futuristischen Entwürfe als geronnene Hohlformen dynamischer Kraftfelder oder als Kommunikations– und Bewegungskanäle der Stadt erweisen. Das Thema der Verflüssigung des Raumes die grundlegende Entwicklungstendenz von Margareta Hesses Arbeiten in den vergangenen drei Jahrzehnten knüpft überdies an den Genius Loci an, wurde doch schon Donald Judds Arbeiten in der zeitgenössischen Kritik als Triumph räumlicher Verflüssigung gefeiert. Die Dialektik zwischen dem Oberpriester der Moderne und der Diva des zeitgenössischen Kunstbetriebs würde in diesem Spannungsfeld noch eine pointierte Inszenierung erlauben. Zwischen dem mentalen Bild der Künstlerin und dem Realisat klafft demnach eine erhebliche Lücke, falls beide überhaupt je zur Deckung gelangen. Das Interesse der Künstlerin gehört einem Material, das eigentlich vollkommen banal scheint: Polyester. Scheinbar ein rein funktionales Baumaterial, das unter anderem zu Zwecken des Sichtschutzes oder bei der Herstellung von Segelflugzeugen eingesetzt wird. Durch das Übereinanderlegen mehrerer Polyesterplatten erhalten ihre Arbeiten eine Räumlichkeit und Mehrschichtigkeit, die sie von der Wand distanziert und in einen scheinbaren Schwebezustand versetzt. Mit diesen Arbeiten emanzipierte sich von der Schwere und Wuchtigkeit ihrer Wachs überzogenen Arbeiten auf Holzplatten. Ein konzeptuelles Geflecht, das seine tückischen Mechanismen hinter vordergründigen Sinnzusammenhängen versteckt, seine wuchernde Komplexität unter einer oberflächlichen Ordnung. Und dessen Schöpferin beim Gang durch die Ausstellung scheinbar über uns steht, unsere Wahrnehmungskonventionen entlarvt, unsere Klassifizierungsstereotype analysiert. Die Anstrengungen, die unternommen werden, um das Profil eines individuellen Künstlers zu schärfen und die Identität eines Werks zu definieren, also den Ordnungsprinzipien einer Disziplin zu genügen, konterkarieren oder dekonstruieren diese Zielsetzung immer auch.
Von visueller Prägnanz und bisweilen berückender Schönheit sind ihre »Transluzide«. Margareta Hesse malt keine Allegorie–Hausaufgaben, sondern zuweilen sehr ätherische Bilder. Sie wirft das lästige "Was bedeutet denn das?" entschlossen über Bord, kann sich auf das konzentrieren, was so grandios vor Augen liegt. Die Malerin ist dazu übergegangen, die Leinwand nicht länger als begrenzte Fläche zu betrachten, innerhalb derer sich ein Spiel der Korrespondenzen figürlicher oder abstrakter Formen entfaltet, sondern als Arena für künstlerische Handlungen, den puren Vollzug von Malerei sozusagen, dessen Spuren sichtbar blieben. Margareta Hesse vermag sich von den Zwängen konventioneller und sorgsam elaborierter Kunstregeln unbeschwert zu bewegen und mit Hilfe ihrer Werkzeuge die Dynamik des schöpferischen Geistes in einem ungeheuer konzentrierten Akt als unmittelbare Niederschrift zu dokumentieren. Diese Arbeiten sind ungegenständlich, sie leben von dem Gegensatz zwischen strengen, seriellen Strukturen und natürlichen malerischen Elementen. Mattierte und aufgerauhte Flächen erzeugen Transparenz und Unschärfe. Ihre durchleuchteten Bilder ergreifen mit ihrer materiellen, wie farblichen Präsenz vom Raum Besitz. Das Projekt »Transluzide« lebt von der Variation klar festgelegter, reduzierter bildnerischer Mittel innerhalb einer strengen geometrischen Systematik. Die reine Farbigkeit, die dem Betrachter entgegenleuchtet, nimmt einen geradezu in einem optischen Sog gefangen. Der Gegensatz von Materialität und Immaterialität, von Sichtverweigerung und Einsichtgewährung, von Verschleierung und Transparenz wird spielerisch aufgehoben. Farbe wird zur Geltung gebracht und zurück genommen, Form geoffenbart und wieder verborgen. Spannungsreich sind die Arbeiten dadurch, daß sie den Anschein haben, in steter Entwicklung begriffen zu sein, denn was genau sichtbar wird im jeweiligen Augenblick, was sich den Blicken plötzlich wieder entzieht, bestimmt zum einen das Licht, zum anderen der Betrachter selbst, der sich veranlaßt sieht, vor dem Bild auf und ab zu gehen, die Räume zwischen den einzelnen Polyesterplatten zu erforschen und sich vor den aus Silikon gearbeiteten Öffnungen auf den Bildgrund niederzubeugen. Das Licht fällt durch die zwei in Distanz hintereinander montierten farbigen, oft orange– und rotgetönten Platten und eröffnet einen luftigen, im wahrsten Sinn des Wortes schwebenden Sehraum, der je nach Betrachterstandort verschieden wahrnehmbar wird; es tritt also im Werk der Künstlerin als Protagonistin auf und wird selbst zum Akteur.
Die vom Licht modulierte Oberfläche der »Transluzide« ist keine glasklare, kalte Platte, sie hat durch eingeschlossene Glasfasern eine zarte, sinnliche Struktur, die das Technoide hinter sich läßt, oder sie sabotiert bewußt die Transparenz dadurch, daß Margareta Hesse die Polyesterplatten mit dem Schleifpapier aufraut oder gemischte Farben hinzufügt. Die signifikante Materialität des pastos aufgetragenen Schelllacks, erinnert an erstarrten Honig, diese ist prägend für diese Arbeiten. Der Zwischenraum lädt dazu ein, vor dem Bild oder auch seitlich wechselnde Standpunkte einzunehmen um durchzublicken, sein Gemachtsein zu erfahren und seine Machart herauszubekommen. Durch die Variation unterschiedlich breiter, senkrechter und waagerechter Linien, durch die Oberflächenmattierung auf Vorder– und Rückseiten, den Einsatz unbearbeiteter Flächen und die Kombination von zwei Kompositionsplatten, die mit Distanz zueinander und zur Wand voreinander gehängt werden, entstehen unterschiedliche Kompositionen. Dabei bleibt die Farbigkeit reduziert auf die Materialfarbe des Schellacks, und kontrastierend dazu ist das lichtschluckende Schwarz eingesetzt. Die Module dieser Bildserie sind in Anzahl und Reihenfolge unterschiedlich kombinierbar. Die Serie ist keine in sich geschlossene Einheit und verändert sich durch unterschiedliche Lichtsituationen. Margareta Hesse sucht den Ausgleich zwischen Natur und Kunst bzw. Künstlichkeit, aber auch zwischen dem Rhythmus und nüchterner Strenge, Industriematerial und Naturbelassenheit. Diese coincidentia oppositorum einer artifiziellen Natur spiegelt sich auch im Verhältnis von Einzelbild und Serienmodul wider. Wirken die Arbeiten durchaus von sich aus und allein, das heißt individuell, so gewinnen sie an konkreter Überformung durch die strenge Reihung an der Galeriewand – im ersten Fall steht die sinnliche Erfahrung im Vordergrund, im zweiten der musikalisch–abstrakte Rhythmus. Margareta Hesse nutzt als Bildträger Polyesterplatten, die durchsichtig, aber nicht transparent sind, aufgerauht oder unbehandelt legen sie sich wie ein Schleier über darunter liegende Motive, dreidimensionale Durchsichten erzeugend. In den weißlichen Polyesterplatten fand Margareta Hesse ein ambivalentes, ästhetisch keineswegs leicht einzuordnendes Material, das sie faszinierte – Polyester ist gleichzeitig Plastik und wirkt, aufgrund der an die Strukturen der menschlichen Haut erinnernden, von feinen Adern durchzogenen Oberfläche mit den eingeschlossenen Glasfasern, beinahe organisch. Schellack, Acryl und Silikon werden als Träger subtiler Farbigkeiten auf dem transparenten Untergrund genutzt. So wertlos die Materialien scheinen, so ästhetisch ist das künstlerische Ergebnis aus Polyester, Silikon, speziell aufbereiteter Ölfarbe, Lackfarbe und Schellack. Das Material dominiert größtenteils die mit opaken Farben aufgetragenen Strukturen. Jedes Wandobjekt spricht vom Talent der Künstlerin für das Zusammenführen von Disparatem, von Hesses Sensibilität im Umgang mit einem äußerst reduzierten Formenrepertoire und von der Vorliebe für Linien, die mal dünner, mal dicker, mal quer, mal längs, mal abgezirkelt, mal fließend die Kunstwerke konstituieren, die den Transluziden eine reliefartige Oberfläche verleihen oder die Objekte durchfurchen und ihnen so zur Tiefendimension verhelfen. Was bleibt, ist Malerei, die einen kostbaren Kunstgeschichtsaugenblick lang einmal nicht in der Form erstarrt scheint, die gleichsam unvermindert als sinnliche Kraft weiterlebt. Diese Arbeiten bezeugen Margareta Hesses intensive Recherche an der Schnittstelle von Architektur und bildender Kunst.
Dem Augenreiz folgen, hinter den Spiegel sehen. Margareta Hesse versteht Kunst als Komposition von Bildern, welche Sinneseindrücke auffangen und den nie linearen Prozeß der Erinnerung samt gegenwärtigen Assoziationen, Gedanken, Abschweifungen nachvollziehen. Augenfällig wir dies bei den Experimenten „Rotstücke“ / „Grünstücke“. Hier wird die coole Flächigkeit verdrängt von Raum und Perspektive. Ist die materielle Identität eines Bildes in Bezug auf seine räumlichen Grenzen, den konkreten Umraum, seinen ersten Kontext, nicht präzise zu definieren, so ist es auch in der Zeit, das heißt im künstlerischen Prozeß, der sich in den Malschichten niederschlägt, nicht eindeutig fixierbar. Die künstlerische Fantasie bricht sich direkt Bahn, nicht behindert durch die Schranken der Kontrolle des Vorgewußten. Das Ergebnis dieser Experimente ist ein vielfach vernetztes, sich überschneidendes, heftig pulsierendes Gefüge von Linien und Tropfen unterschiedlicher Farbe, in das die Betrachter eintauchen müssen, um es ganz zu erfahren. Es entstehen zwingende Formen, die ihre Komplexität nur nach längerer Zeit preisgeben. Diese Arbeiten sind auf den ersten Blick tatsächlich keiner gängigen Richtung der zeitgenössischen Malerei zuzuordnen. Margareta Hesse malt nicht gegenständlich ihr Interesse ist rein ästhetisch. Was in dieser Reihe entsteht, sind geometrische Formen, die von ferne an Op–Art denken lassen, an die Abstraktionen der Moderne. Dabei zitiert die Künstlerin nicht, sondern überführt das Historische in eine unbedingt zeitgenössische Bildsprache. Jeder Linienschwung, jede rasende Ellipse und jede Farbschattierung wirkt so unverwechselbar und kostbar, wie es gute Malerei nur sein kann. Während aber die Op–Art eher unsere Wahrnehmung auf komplett unsemantischer Ebene testet, entfalten dagegen die Rot– und Grünstücke eine verführerische Gegenständlichkeit, die sie zwar nicht intendiert aber akzeptiert hat.
Margareta Hesse öffnet uns wieder die Augen dafür, wie aufregend abstrakte Malerei sein kann. Die Artistin begnügt sich auch nicht mit herkömmlichen Malmitteln, sondern verwendete kunstfremde Materialien. Damit schließt sie Fenster der Malerei zum Raum hin endgültig auf und erweitert die Leinwand zum vitalen Kraftfeld. In ihren Nachtvisionen geht sie bis hart an die Grenze der totalen Auflösung, bis nur noch ein letzter Verweis auf die Körperwelt – ein isoliertes Auge oder die Andeutung einer Schädeldecke – übrig bleibt. Der Weg zur Ungegenständlichkeit führt zu Schmutz und Reinheit, Vergeistigung und Leidenschaftlichkeit, zwischen Freiheit und Notwendigkeit hindurch. Auch die Oberfläche des Gemäldes stellt keine sichere Bildgrenze dar, die den Willen der Künstlerin repräsentierte. Sie kann als die kontingente Formation einer instabilen Tiefendimension gedeutet werden, denn Röntgenaufnahmen haben eine Vielzahl an Malschichten und Pentimenti festgestellt, die teils mit erheblichen konzeptionellen Änderungen verbunden sind. Zuweilen herrscht in den Bildern Ordnung und Nüchternheit, es sind entvölkerte Bilder, Pinselspuren, Farbwülste und Glanzeffekte entwickeln eine eigene Wirkmacht.
Mehrere Museen in NRW widmen Margareta Hesse in 2007/08 eine konzentrierte und inspirierte Ausstellung, die sich weder als Hommage gebärdet noch dem Gestus der Retrospektive verfällt. Die in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entwickelte Schau erscheint vielmehr als eine künstlerische Standortbestimmung, die Raum für Raum in Szene setzt, wofür dieses Werk steht: das systematische Ineinandergreifen von Körpererfahrung, skulpturaler Geste, poetischer Imagination und medialer Reflexion. "All in the present must be transformed" könnte man die künstlerischen Metamorphosen auch beschreiben. Vielleicht sollte man da direkt mit der Transformation dieser Ausstellung beginnen. Mit diesen Arbeiten sucht Margareta Hesse die Verschmelzung von Kunst und Leben voranzutreiben und darüber hinaus die Ebene von Kunst in die immaterielle Sphäre der Gedanken und Ideen zu verlagern. Margareta Hesse gehört zu den wirklich relevanten Malern unserer Zeit, die lange zu Unrecht im Schatten der modischen neuen Figürlichkeit stand. Der Text zur Kunst, die Theorie zum Bild, die Entzifferungsanleitungen, die der Künstler und Kunsttheoretiker seinen Bildern allgemein vermittelnd an die Seite stellt, könne dieses "richtige Erleben" letztlich niemals ersetzen: Die Künstlerin und das aus ihr entsprungene Werk wird unbedingt dem Zuschauer, welcher dazu fähig ist, feinere Emotionen verursachen, die mit unseren Worten nicht zu fassen sind. Wessen Seele vor dem Nebel des Mauve und dem herandrängenden Gelb auch beim besten Willen und gewissenhaftesten Dechiffrierungsbemühen nicht zu vibrieren beginnt, dem ist also offenbar leider am Ende gar nicht zu helfen. Das Rhizom scheint unter Kontrolle. Doch dann offenbaren diese vordergründigen Ordnungen plötzlich Mechanismen, die voller Tücke sind. Die Spannungen zwischen der Semantik, der traditionellen Ikonographie, und der aktuellen Syntax, die Margareta Hesse erfindet, nimmt den einzelnen Zeichen bereits ihre Eindeutigkeit. Sie tangieren auch die semantischen Relationen zwischen den Zeichen, das heißt in der Sprache der Kunstgeschichte die Komposition des Bildes und seinen Bedeutungssinn. Diese Widersprüche, die Brüche oder Abweichungen, die ihr Bild von der Bild– und Texttradition unterscheiden, den beiden primären Referenzialen der innerbildlichen Zeichen, versuchen die Interpreten aufzulösen. Es lohnt, sich auf dieses Angebot einzulassen. Zu entdecken ist nicht zuletzt eine überraschungsreiche Metaphernmaschine, die aber nicht selbstreferenziell nur die Kunst, sondern weiter auch Alltag, Politik und Gesellschaft kritisch ins Auge faßt. Es sind gerade diese auf den ersten Blick nicht unbedingt wahrnehmbaren Eingriffe, die das Werk von Margareta Hesse auch in anderen Ausstellungen als eine übergreifende Geste erscheinen lassen, in der Wissen und Erfahrung, Geschichte und Gegenwart, Reflexion und Einfühlung einander durchdringen. Gerade diese als übergreifender Erfahrungsraum angelegte Ausrichtung dieser Ausstellungsreihe verleiht der Wahrnehmung ihres Werkes neue Schärfe. Die Bewegung der Objekte und die Wandlungsfähigkeit ihres Ausdrucks existieren nicht einfach in der Zeit, sie sind vielmehr gelebte Zeit. Große Kunst besteht immer darin, das so genannte Faktische, das, was wir über unsere Existenz wissen, zu verdichten und es in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Ihre präzisen Setzungen, ungewöhnlichen Materialkombinationen, fragilen und zugleich monumentalen Konstruktionen reflektieren die umgebende Welt und die Brüchigkeit des menschlichen Daseins. Das Unbestimmte ist Teil der Ausstrahlung und der Qualität der Kunst von Margareta Hesse. Ihr Geheimnis zu lüften, hieße, kunstgeschichtlich faßbar zu machen, was sich im Grunde jeder Interpretation widersetzt. Das Beziehungsgeflecht zwischen ihren Arbeiten hält Erinnerung und Besucher wach.
Matthias Hagedorn
Ausstellung im Museum Siegburg vom 4. Mai bis 15. Juni 2008
Link: http://www.margareta-hesse.de/
Margareta Hesse, die seit 1995 Professorin an der Fachhochschule in Dortmund ist, ist eine Figur der Ermutigung vor allem für junge Künstlerinnen. Den Versuch, ihre Werke als feministisches Statement zu lesen, zum Beispiel weil sie den weiblichen Körper und seine Verletzbarkeit zu einer Zeit sichtbar machte, als dies für andere Künstlerinnen schon eine politische Aussage war, wies sie selbst zwar oft zurück. Aber nicht zuletzt, weil solche Lesarten möglich waren, waren ihre Werke auch in vielen männlich dominierten Sammlungen begehrt als Beleg für die Aufgeschlossenheit gegenüber Künstlerinnen. Ihre Bilder stellen keine Zitate der ikonischen Moderne dar oder Anspielungen auf bestimmte Schulen oder Agenden, sondern streben trotzig nach Bewahrung ihrer eigenen Autonomie. Das Poetische und das Mechanische gehen in vielen Arbeiten eine spielerische Verbindungen ein, die auch gerade da, wo sie das Schöpferische der Kunst zu ironisieren scheinen, nie die Lust am Narrativen und an einer zärtlichen Zugewandtheit zu jeder Form von Entstehungsprozeß verlieren.
Ihre Kunstwerke haben etwas Lukullisches, wie es Bertolt Brecht nannte. Die Form darf nicht abgelöst werden vom Inhalt, und der Inhalt braucht eine angemessene Form. Während ihre frühen Arbeiten mit ihren (de)konstruktivistischen Anleihen von einer Hard–Edge–Ästhetik geprägt sind, zeigt sich in den jüngeren Projekten wie »einmal auf dem wasser gehen und in die tiefe sehen« von urbanem Maßstab mehr und mehr eine Tendenz zur Verflüssigung, indem sich die futuristischen Entwürfe als geronnene Hohlformen dynamischer Kraftfelder oder als Kommunikations– und Bewegungskanäle der Stadt erweisen. Das Thema der Verflüssigung des Raumes die grundlegende Entwicklungstendenz von Margareta Hesses Arbeiten in den vergangenen drei Jahrzehnten knüpft überdies an den Genius Loci an, wurde doch schon Donald Judds Arbeiten in der zeitgenössischen Kritik als Triumph räumlicher Verflüssigung gefeiert. Die Dialektik zwischen dem Oberpriester der Moderne und der Diva des zeitgenössischen Kunstbetriebs würde in diesem Spannungsfeld noch eine pointierte Inszenierung erlauben. Zwischen dem mentalen Bild der Künstlerin und dem Realisat klafft demnach eine erhebliche Lücke, falls beide überhaupt je zur Deckung gelangen. Das Interesse der Künstlerin gehört einem Material, das eigentlich vollkommen banal scheint: Polyester. Scheinbar ein rein funktionales Baumaterial, das unter anderem zu Zwecken des Sichtschutzes oder bei der Herstellung von Segelflugzeugen eingesetzt wird. Durch das Übereinanderlegen mehrerer Polyesterplatten erhalten ihre Arbeiten eine Räumlichkeit und Mehrschichtigkeit, die sie von der Wand distanziert und in einen scheinbaren Schwebezustand versetzt. Mit diesen Arbeiten emanzipierte sich von der Schwere und Wuchtigkeit ihrer Wachs überzogenen Arbeiten auf Holzplatten. Ein konzeptuelles Geflecht, das seine tückischen Mechanismen hinter vordergründigen Sinnzusammenhängen versteckt, seine wuchernde Komplexität unter einer oberflächlichen Ordnung. Und dessen Schöpferin beim Gang durch die Ausstellung scheinbar über uns steht, unsere Wahrnehmungskonventionen entlarvt, unsere Klassifizierungsstereotype analysiert. Die Anstrengungen, die unternommen werden, um das Profil eines individuellen Künstlers zu schärfen und die Identität eines Werks zu definieren, also den Ordnungsprinzipien einer Disziplin zu genügen, konterkarieren oder dekonstruieren diese Zielsetzung immer auch.
Von visueller Prägnanz und bisweilen berückender Schönheit sind ihre »Transluzide«. Margareta Hesse malt keine Allegorie–Hausaufgaben, sondern zuweilen sehr ätherische Bilder. Sie wirft das lästige "Was bedeutet denn das?" entschlossen über Bord, kann sich auf das konzentrieren, was so grandios vor Augen liegt. Die Malerin ist dazu übergegangen, die Leinwand nicht länger als begrenzte Fläche zu betrachten, innerhalb derer sich ein Spiel der Korrespondenzen figürlicher oder abstrakter Formen entfaltet, sondern als Arena für künstlerische Handlungen, den puren Vollzug von Malerei sozusagen, dessen Spuren sichtbar blieben. Margareta Hesse vermag sich von den Zwängen konventioneller und sorgsam elaborierter Kunstregeln unbeschwert zu bewegen und mit Hilfe ihrer Werkzeuge die Dynamik des schöpferischen Geistes in einem ungeheuer konzentrierten Akt als unmittelbare Niederschrift zu dokumentieren. Diese Arbeiten sind ungegenständlich, sie leben von dem Gegensatz zwischen strengen, seriellen Strukturen und natürlichen malerischen Elementen. Mattierte und aufgerauhte Flächen erzeugen Transparenz und Unschärfe. Ihre durchleuchteten Bilder ergreifen mit ihrer materiellen, wie farblichen Präsenz vom Raum Besitz. Das Projekt »Transluzide« lebt von der Variation klar festgelegter, reduzierter bildnerischer Mittel innerhalb einer strengen geometrischen Systematik. Die reine Farbigkeit, die dem Betrachter entgegenleuchtet, nimmt einen geradezu in einem optischen Sog gefangen. Der Gegensatz von Materialität und Immaterialität, von Sichtverweigerung und Einsichtgewährung, von Verschleierung und Transparenz wird spielerisch aufgehoben. Farbe wird zur Geltung gebracht und zurück genommen, Form geoffenbart und wieder verborgen. Spannungsreich sind die Arbeiten dadurch, daß sie den Anschein haben, in steter Entwicklung begriffen zu sein, denn was genau sichtbar wird im jeweiligen Augenblick, was sich den Blicken plötzlich wieder entzieht, bestimmt zum einen das Licht, zum anderen der Betrachter selbst, der sich veranlaßt sieht, vor dem Bild auf und ab zu gehen, die Räume zwischen den einzelnen Polyesterplatten zu erforschen und sich vor den aus Silikon gearbeiteten Öffnungen auf den Bildgrund niederzubeugen. Das Licht fällt durch die zwei in Distanz hintereinander montierten farbigen, oft orange– und rotgetönten Platten und eröffnet einen luftigen, im wahrsten Sinn des Wortes schwebenden Sehraum, der je nach Betrachterstandort verschieden wahrnehmbar wird; es tritt also im Werk der Künstlerin als Protagonistin auf und wird selbst zum Akteur.
Die vom Licht modulierte Oberfläche der »Transluzide« ist keine glasklare, kalte Platte, sie hat durch eingeschlossene Glasfasern eine zarte, sinnliche Struktur, die das Technoide hinter sich läßt, oder sie sabotiert bewußt die Transparenz dadurch, daß Margareta Hesse die Polyesterplatten mit dem Schleifpapier aufraut oder gemischte Farben hinzufügt. Die signifikante Materialität des pastos aufgetragenen Schelllacks, erinnert an erstarrten Honig, diese ist prägend für diese Arbeiten. Der Zwischenraum lädt dazu ein, vor dem Bild oder auch seitlich wechselnde Standpunkte einzunehmen um durchzublicken, sein Gemachtsein zu erfahren und seine Machart herauszubekommen. Durch die Variation unterschiedlich breiter, senkrechter und waagerechter Linien, durch die Oberflächenmattierung auf Vorder– und Rückseiten, den Einsatz unbearbeiteter Flächen und die Kombination von zwei Kompositionsplatten, die mit Distanz zueinander und zur Wand voreinander gehängt werden, entstehen unterschiedliche Kompositionen. Dabei bleibt die Farbigkeit reduziert auf die Materialfarbe des Schellacks, und kontrastierend dazu ist das lichtschluckende Schwarz eingesetzt. Die Module dieser Bildserie sind in Anzahl und Reihenfolge unterschiedlich kombinierbar. Die Serie ist keine in sich geschlossene Einheit und verändert sich durch unterschiedliche Lichtsituationen. Margareta Hesse sucht den Ausgleich zwischen Natur und Kunst bzw. Künstlichkeit, aber auch zwischen dem Rhythmus und nüchterner Strenge, Industriematerial und Naturbelassenheit. Diese coincidentia oppositorum einer artifiziellen Natur spiegelt sich auch im Verhältnis von Einzelbild und Serienmodul wider. Wirken die Arbeiten durchaus von sich aus und allein, das heißt individuell, so gewinnen sie an konkreter Überformung durch die strenge Reihung an der Galeriewand – im ersten Fall steht die sinnliche Erfahrung im Vordergrund, im zweiten der musikalisch–abstrakte Rhythmus. Margareta Hesse nutzt als Bildträger Polyesterplatten, die durchsichtig, aber nicht transparent sind, aufgerauht oder unbehandelt legen sie sich wie ein Schleier über darunter liegende Motive, dreidimensionale Durchsichten erzeugend. In den weißlichen Polyesterplatten fand Margareta Hesse ein ambivalentes, ästhetisch keineswegs leicht einzuordnendes Material, das sie faszinierte – Polyester ist gleichzeitig Plastik und wirkt, aufgrund der an die Strukturen der menschlichen Haut erinnernden, von feinen Adern durchzogenen Oberfläche mit den eingeschlossenen Glasfasern, beinahe organisch. Schellack, Acryl und Silikon werden als Träger subtiler Farbigkeiten auf dem transparenten Untergrund genutzt. So wertlos die Materialien scheinen, so ästhetisch ist das künstlerische Ergebnis aus Polyester, Silikon, speziell aufbereiteter Ölfarbe, Lackfarbe und Schellack. Das Material dominiert größtenteils die mit opaken Farben aufgetragenen Strukturen. Jedes Wandobjekt spricht vom Talent der Künstlerin für das Zusammenführen von Disparatem, von Hesses Sensibilität im Umgang mit einem äußerst reduzierten Formenrepertoire und von der Vorliebe für Linien, die mal dünner, mal dicker, mal quer, mal längs, mal abgezirkelt, mal fließend die Kunstwerke konstituieren, die den Transluziden eine reliefartige Oberfläche verleihen oder die Objekte durchfurchen und ihnen so zur Tiefendimension verhelfen. Was bleibt, ist Malerei, die einen kostbaren Kunstgeschichtsaugenblick lang einmal nicht in der Form erstarrt scheint, die gleichsam unvermindert als sinnliche Kraft weiterlebt. Diese Arbeiten bezeugen Margareta Hesses intensive Recherche an der Schnittstelle von Architektur und bildender Kunst.
Dem Augenreiz folgen, hinter den Spiegel sehen. Margareta Hesse versteht Kunst als Komposition von Bildern, welche Sinneseindrücke auffangen und den nie linearen Prozeß der Erinnerung samt gegenwärtigen Assoziationen, Gedanken, Abschweifungen nachvollziehen. Augenfällig wir dies bei den Experimenten „Rotstücke“ / „Grünstücke“. Hier wird die coole Flächigkeit verdrängt von Raum und Perspektive. Ist die materielle Identität eines Bildes in Bezug auf seine räumlichen Grenzen, den konkreten Umraum, seinen ersten Kontext, nicht präzise zu definieren, so ist es auch in der Zeit, das heißt im künstlerischen Prozeß, der sich in den Malschichten niederschlägt, nicht eindeutig fixierbar. Die künstlerische Fantasie bricht sich direkt Bahn, nicht behindert durch die Schranken der Kontrolle des Vorgewußten. Das Ergebnis dieser Experimente ist ein vielfach vernetztes, sich überschneidendes, heftig pulsierendes Gefüge von Linien und Tropfen unterschiedlicher Farbe, in das die Betrachter eintauchen müssen, um es ganz zu erfahren. Es entstehen zwingende Formen, die ihre Komplexität nur nach längerer Zeit preisgeben. Diese Arbeiten sind auf den ersten Blick tatsächlich keiner gängigen Richtung der zeitgenössischen Malerei zuzuordnen. Margareta Hesse malt nicht gegenständlich ihr Interesse ist rein ästhetisch. Was in dieser Reihe entsteht, sind geometrische Formen, die von ferne an Op–Art denken lassen, an die Abstraktionen der Moderne. Dabei zitiert die Künstlerin nicht, sondern überführt das Historische in eine unbedingt zeitgenössische Bildsprache. Jeder Linienschwung, jede rasende Ellipse und jede Farbschattierung wirkt so unverwechselbar und kostbar, wie es gute Malerei nur sein kann. Während aber die Op–Art eher unsere Wahrnehmung auf komplett unsemantischer Ebene testet, entfalten dagegen die Rot– und Grünstücke eine verführerische Gegenständlichkeit, die sie zwar nicht intendiert aber akzeptiert hat.
Margareta Hesse öffnet uns wieder die Augen dafür, wie aufregend abstrakte Malerei sein kann. Die Artistin begnügt sich auch nicht mit herkömmlichen Malmitteln, sondern verwendete kunstfremde Materialien. Damit schließt sie Fenster der Malerei zum Raum hin endgültig auf und erweitert die Leinwand zum vitalen Kraftfeld. In ihren Nachtvisionen geht sie bis hart an die Grenze der totalen Auflösung, bis nur noch ein letzter Verweis auf die Körperwelt – ein isoliertes Auge oder die Andeutung einer Schädeldecke – übrig bleibt. Der Weg zur Ungegenständlichkeit führt zu Schmutz und Reinheit, Vergeistigung und Leidenschaftlichkeit, zwischen Freiheit und Notwendigkeit hindurch. Auch die Oberfläche des Gemäldes stellt keine sichere Bildgrenze dar, die den Willen der Künstlerin repräsentierte. Sie kann als die kontingente Formation einer instabilen Tiefendimension gedeutet werden, denn Röntgenaufnahmen haben eine Vielzahl an Malschichten und Pentimenti festgestellt, die teils mit erheblichen konzeptionellen Änderungen verbunden sind. Zuweilen herrscht in den Bildern Ordnung und Nüchternheit, es sind entvölkerte Bilder, Pinselspuren, Farbwülste und Glanzeffekte entwickeln eine eigene Wirkmacht.
Mehrere Museen in NRW widmen Margareta Hesse in 2007/08 eine konzentrierte und inspirierte Ausstellung, die sich weder als Hommage gebärdet noch dem Gestus der Retrospektive verfällt. Die in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entwickelte Schau erscheint vielmehr als eine künstlerische Standortbestimmung, die Raum für Raum in Szene setzt, wofür dieses Werk steht: das systematische Ineinandergreifen von Körpererfahrung, skulpturaler Geste, poetischer Imagination und medialer Reflexion. "All in the present must be transformed" könnte man die künstlerischen Metamorphosen auch beschreiben. Vielleicht sollte man da direkt mit der Transformation dieser Ausstellung beginnen. Mit diesen Arbeiten sucht Margareta Hesse die Verschmelzung von Kunst und Leben voranzutreiben und darüber hinaus die Ebene von Kunst in die immaterielle Sphäre der Gedanken und Ideen zu verlagern. Margareta Hesse gehört zu den wirklich relevanten Malern unserer Zeit, die lange zu Unrecht im Schatten der modischen neuen Figürlichkeit stand. Der Text zur Kunst, die Theorie zum Bild, die Entzifferungsanleitungen, die der Künstler und Kunsttheoretiker seinen Bildern allgemein vermittelnd an die Seite stellt, könne dieses "richtige Erleben" letztlich niemals ersetzen: Die Künstlerin und das aus ihr entsprungene Werk wird unbedingt dem Zuschauer, welcher dazu fähig ist, feinere Emotionen verursachen, die mit unseren Worten nicht zu fassen sind. Wessen Seele vor dem Nebel des Mauve und dem herandrängenden Gelb auch beim besten Willen und gewissenhaftesten Dechiffrierungsbemühen nicht zu vibrieren beginnt, dem ist also offenbar leider am Ende gar nicht zu helfen. Das Rhizom scheint unter Kontrolle. Doch dann offenbaren diese vordergründigen Ordnungen plötzlich Mechanismen, die voller Tücke sind. Die Spannungen zwischen der Semantik, der traditionellen Ikonographie, und der aktuellen Syntax, die Margareta Hesse erfindet, nimmt den einzelnen Zeichen bereits ihre Eindeutigkeit. Sie tangieren auch die semantischen Relationen zwischen den Zeichen, das heißt in der Sprache der Kunstgeschichte die Komposition des Bildes und seinen Bedeutungssinn. Diese Widersprüche, die Brüche oder Abweichungen, die ihr Bild von der Bild– und Texttradition unterscheiden, den beiden primären Referenzialen der innerbildlichen Zeichen, versuchen die Interpreten aufzulösen. Es lohnt, sich auf dieses Angebot einzulassen. Zu entdecken ist nicht zuletzt eine überraschungsreiche Metaphernmaschine, die aber nicht selbstreferenziell nur die Kunst, sondern weiter auch Alltag, Politik und Gesellschaft kritisch ins Auge faßt. Es sind gerade diese auf den ersten Blick nicht unbedingt wahrnehmbaren Eingriffe, die das Werk von Margareta Hesse auch in anderen Ausstellungen als eine übergreifende Geste erscheinen lassen, in der Wissen und Erfahrung, Geschichte und Gegenwart, Reflexion und Einfühlung einander durchdringen. Gerade diese als übergreifender Erfahrungsraum angelegte Ausrichtung dieser Ausstellungsreihe verleiht der Wahrnehmung ihres Werkes neue Schärfe. Die Bewegung der Objekte und die Wandlungsfähigkeit ihres Ausdrucks existieren nicht einfach in der Zeit, sie sind vielmehr gelebte Zeit. Große Kunst besteht immer darin, das so genannte Faktische, das, was wir über unsere Existenz wissen, zu verdichten und es in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Ihre präzisen Setzungen, ungewöhnlichen Materialkombinationen, fragilen und zugleich monumentalen Konstruktionen reflektieren die umgebende Welt und die Brüchigkeit des menschlichen Daseins. Das Unbestimmte ist Teil der Ausstrahlung und der Qualität der Kunst von Margareta Hesse. Ihr Geheimnis zu lüften, hieße, kunstgeschichtlich faßbar zu machen, was sich im Grunde jeder Interpretation widersetzt. Das Beziehungsgeflecht zwischen ihren Arbeiten hält Erinnerung und Besucher wach.
Matthias Hagedorn
Ausstellung im Museum Siegburg vom 4. Mai bis 15. Juni 2008
Link: http://www.margareta-hesse.de/