Tinchen

Autorin, Poetry Slammerin, Sprecherin, Lektorin
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ANDERS SCHREIBEN


Teil 2

Füllwörter und Schachtelsätze – stilistische Mittel oder verzichtbares Volumen



Füllwörter schleichen sich heimlich ein, besonders in der wörtlichen Rede. Und da Hörspiele zu einem großen Prozentsatz daraus bestehen, findet man sie hier häufig. Besonders im umgangssprachlichen Bereich sind sie nicht unwichtig, auch kann man sie bewusst als stilistisches Mittel einsetzen.

Ein Beispiel:

Anni: Fährst du noch einkaufen?

Ben: Ja, ich will gleich los.

Anni: Gut, dann könntest du doch ja eben nochmal schnell beim Bäcker vorbeifahren und mir ein Brot mitbringen.

Die Kernaussage des letzten Satzes lautet: Du kannst mir ein Brot mitbringen. Die Wörter ‚doch‘, ‚ja‘, ‚eben‘, ‚nochmal‘, ‚schnell‘ sind reine Füllsel, die keine sonderliche Bedeutung für die Aussage des Satzes haben. Aber so oder ähnlich sprechen wir nun mal. Bei diesem Wortgemisch kann man gern auf einiges verzichten. Die Füllsel ‚doch‘ und ‚nochmal‘ dürfen gern gehen, auch das ‚ja‘ wäre verzichtbar. Übrig bliebe:

Gut, dann könntest du eben schnell beim Bäcker vorbeifahren und mir ein Brot mitbringen.


Steht ein solcher Satz in einem Erzählertext, wären weitere Streichungen nötig. Denn wie schon erwähnt, sind Füllworte typisch in der wörtlichen Rede. Bei einem Erzähler kommt es meist darauf an, dass in seinem Text eine Zusammenfassung der vorherigen Situation und ein Hinweis auf zB einen Szenenwechsel und etwas Zukünftiges als Information mitgeteilt wird. In einem Erzählertake würde es seltsam klingen:

Anni schickte Ben los, ja doch eben nochmal schnell beim Bäcker vorbeizufahren und ein Brot mitzubringen.

Hier wäre klar, dass: Anni schickte Ben los, beim Bäcker vorbeizufahren und ein Brot mitzubringen, völlig ausreichend ist.

Man kann also in Fließtexten großzügiger Füllworte streichen als in der wörtlichen Rede. Was aber nicht bedeutet, dass man sie dort unkontrolliert herumwuchern lassen sollte. Denn sie verwaschen die eigentliche Satzaussage und machen es dem Zuhörer schwer folgen zu können. Die Konzentration beim Zuhören wird vermehrt darauf gelenkt, aus dem Volumen des Gesagten die Essenz herauszufiltern.

Ein rein informativer Holzhackerstil wäre aber auch nicht angebracht, denn der ist zu langweilig und verhindert, dass die Sprecher in ein reelles Spiel finden. Auch wirken die Texte meist gelangweilt oder muffelig bis zynisch oder sogar wie ein Befehl.

Beispiel:

Anni: Gut, dann fahr beim Bäcker vorbei und bring mir ein Brot mit.

Hier kommt aber etwas ins Spiel, das man nicht außer Acht lassen sollte: Die Entwicklung der Charaktere. Zu einem wortkargen Eigenbrötler oder einem befehlsgewohnten Griesgram passt der kurz angebundene Stil. Eine überkandidelte geschwätzige Person darf sich gern mit vielen Füllwörtern umgeben, die schnell gesprochen werden können. Das kann man gut als Klischee nutzen, um so den Charakteren ihre Eigenarten zu geben. Denn im Hörspiel gibt es nur den Text und das Spiel der Sprecher.

Anni (flötend, mit hoher Stimme) : Schatz? Fährst du gleich noch einkaufen?

Ben (gelangweilt): Ja.

Anni (schnell gesprochen): Gut, dann könntest du doch ja eben nochmal schnell beim Bäcker vorbeifahren und mir ein Brot mitbringen.

Ben: Hmh.

Anni: Ach, und Schatz, wenn du schon losgehst, dann guck doch eben auch schnell nochmal nach der Mülltonne. Und hast du das Fahrrad von den Nachbarn gesehen? Das steht ja bestimmt schon seit drei Tagen am Zaun.

Ben: Hmh.

Sound: Schritte, Tür auf, zu, Atmo wechselt von drinnen – draußen

Ben (zu sich selbst murmelnd): Was sollte ich machen? Ach, ja. Das Fahrrad.


In so einem Dialog kann man die Fülle an Füllwörtern nutzen, um den Charakter Anni flink und überkandidelt darzustellen, sodass beim Hörer der Eindruck entsteht, genauso wie Ben dazustehen und sich zu fragen: Was sollte wichtig sein?

Geht es aber in einer Szene um wirklich wichtige Details, sollte man mit dem Einsatz von Füllwörtern vorsichtiger umgehen oder dem Hörer die Chance geben mit einem anschließenden Erzählerpart in kurzem informativem Schreibstil für Klarheit zu sorgen.



Die Schachtelsätze sind auch so eine Sache… Fluch oder Segen? Stilistisches Mittel oder unfreiwillige Verwirrungstaktik?

Schachtelsätze entstehen, indem man immer wieder kleinere Sätze oder wichtige Informationen, die das Vorangegangene erklären sollen, einschiebt und kein Ende finden kann, weil es sich gerade so gut wegschreibt und man seinen Gedanken freien Lauf geben kann, damit sie im Schreibfluss schnell aufs Papier kommen, damit die Geschichte fertig werden kann, an Tiefe gewinnt, und weil es gerade ungemein wichtig ist auf bestimmte Details, die am Rande erwähnt nicht zur Geltung kommen würden, hinzuweisen, die man sonst vergessen könnte, weil sie genau an dieser Stelle besonders wichtig sind. (Atmen!)

Blöd nur, wenn keiner die Details findet, weil sie in einem Satzungeheuer verschwinden. Hier gilt das Sprichwort: Auf den Punkt kommen. Für Sprecher sind Schachtelsätze eine besondere Herausforderung, was das Lungenvolumen und die Vorbereitung betreffen. Ein geübter Sprecher kann ohne viel Vorarbeit Texte gut lesen. Aber bei Satzungetümen muss auch ein Profi sich eine Strategie erarbeiten mit Betonungszeichen und Atempausen. Diese Arbeit kann der Autor dem Sprecher ersparen, wenn er in der Überarbeitung seiner Texte solche Ungetüme aufdröselt und in geordnete Bahnen lenkt. Was auch dem Hörer zugutekommen wird.

Außer… der Autor nutzt den Schachtelsatz, womöglich gespickt mit Füllwörtern, die die eigentliche Aussage verwaschen und das Zuhören und Verstehen erschweren, weil der Schreiberling nicht auf den Punkt kommt und kein Ende finden kann in seinem Schreibfluss, um damit ein stilistisches Klischee der Verwirrung zu erschaffen, denn das – und hier kommt es zu einem ganz individuellen Faktor der jeweiligen Gehirnleistung und kommunikativen Fähigkeiten - entspricht nun mal seinem Schreibstil, um sich so in Sphären zu begeben, denen nicht jeder folgen kann.

Kann man machen – muss man aber nicht.


Viel Spaß beim Schreiben... und das Atmen nicht vergessen!
Euer Tinchen
 

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Chaos

Schneewittchen
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Eine schöne Veranschaulichung!

Ich find immer hilfreich, sich auch beim Erzähler zu überlegen, welche "Figur" er ist. Denn auch wenn es ein unsichtbarer Erzähler ist, kann der ja durchaus seinen eigenen Charakter haben :) Das reißt du bei den Schachelsätzen auch schön an, find ich.

Imho sind Erzählfiguren manchmal ein bisschen unterschätzt, man kann ja gut damit spielen, dass die auch nicht alles wissen oder Marotten haben oder lügen und schwurbeln. Daraus entsteht mitunter viel Witz für ein Stück.

Danke für das Tutorial :)

[edit weil ich am tablet anscheinend nicht richtig tippen kann lol]
:)
 
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