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04. Dezember - Teestunde.mp3

Text

Liselotte blickte aus dem Fenster in Richtung des Rodelberges. Wie bunte Punkte sah sie die Kinder mit ihren Schlitten und bunten Winterjacken auf dem Abhang spielen. Ein Lächeln glitt über ihre alten Lippen. “Hach ja, die Kleinen… So voller Energie…”, sagte sie zu sich selbst. Dann wandte sie sich dem großen Topf auf dem Herd wieder zu und rührte die Milch die in selbigem kochte, vorsichtig um. Ihre Gedanken kreisten um die guten alten Zeiten. Damals, vor fast vierzig Jahren, als ihr lieber Manfred noch bei ihr gewesen war, waren die beiden mit ihren Kindern nach dem ersten Schneefall immer zum Berg gegangen. Liselotte hatte mit Mia, der jüngsten, oft einen Schneemann gebaut, während ihr Manni mit den beiden Jungs Rampen aus Schnee für die Schlitten gebaut hatte. Sie lachte leise, als sie sich an diesen einen Winter erinnerte, in dem ihr Mann den Jungen unbedingt hatte beweisen wollen, dass für ihn keine Rampe zu steil sein konnte. Peter und Markus hatten die Rampe so hoch gebaut, dass sie beinahe geradewegs hinauf in den Himmel führte. Manni hatte ihnen auch noch dabei geholfen und ihnen dann erklärt, dass sie sie über Nacht stehen lassen müssten, damit sie überfrieren konnte und ihn auch halten würde. Liselotte schüttelte schmunzelnd den Kopf bei dem Gedanken, als der Wasserkocher piepste und sie das heiße Wasser in eine große, grün weiß gepunktete Thermoskanne umfüllte. Zwei Teebeutel landeten geschwind darin und die 72-Jährige schaute auf die Uhr. Fünf Minuten Ziehzeit… Sie ließ die Kanne stehen und holte das große Honigglas vom Schrank. Ihre Gedanken wanderten zurück zu diesem Winter. Ihr Manfred hatte vermutlich gehofft, dass die Jungens über Nacht die Sache mit der Rampe vergessen hatten. Doch natürlich hatten sie das nicht. Als die drei Geschwister den Schlüssel in der Tür gehört hatten, waren sie sofort dorthin gelaufen. Lise lachte leise, als sie sich daran erinnerte, wie ihr Mann kaum Zeit gehabt hatte, seinen Aktenkoffer beiseite zu stellen, bevor die Kinder ihn hinaus und mitsamt des Schlittens auf den Berg gezogen hatten. Sie musste selbstverständlich auch mitkommen. Die Rampe war gut gelungen. Die leichte Eisschicht hatte in der tiefstehenden Sonne gefunkelt. Dramatisch hatte sich ihr Liebster auf den hölzernen Schlitten geschwungen und ihr einen Kuss zugeworfen. Lise erinnerte sich noch gut daran, wie er gesagt hatte: “Meine Lieben! Vergesst mich nicht, sollte ich nicht mehr wiederkommen! Ich liebe euch sehr, doch ich muss diese Rampe bezwingen!”

“Er war schon immer so ein Komödiant…”, murmelte sie lächelnd, nahm die Teebeutel aus der Kanne und legte sie auf ein kleines Tellerchen daneben. Dann schöpfte sie mit einem Löffel etwas von dem cremigen Honig und rührte ihn unter den Tee, damit dieser schön süß wurde. Den Deckel daraufschraubend, damit der Tee weiter dampfend heiß blieb, wandte sie sich wieder dem Topf mit der Milch zu. Sie schüttete etwas Kakaopulver hinein und rührte es vorsichtig unter. Die ganze Küche duftete nach Kakao. Liselotte lächelte in sich hinein und goss auch den Kakao in eine große Thermoskanne. Diese war rot und kleine weiße Schneeflocken zierten die Ränder. Sie war schon alt und an einigen Stellen blätterte bereits der rote Lack ab, doch das machte nichts. Liselotte stellte die beiden großen Kannen in einen Korb und holte einen großen Stapel Tassen aus dem Schrank. Sie stellte sie dazu und verließ dann die Küche, um sich ihren warmen roten Schal um den Hals zu schlingen, in den Wintermantel und die fell gefütterten Stiefel zu schlüpfen. Dann holte sie den kleinen alten Holzschlitten, der direkt bei der Haustür stand, und band den Korb darauf fest. Als sie die Tür öffnete, wehte ihr die eiskalte Luft um die Nase und trug das Geschrei und Gelächter von Kindern zu ihr herüber. Sie lächelte und machte sich auf den Weg zum Rodelberg, die Gedanken bei jenem Tag. Beinahe hätte Liselotte laut aufgelacht, als sie daran dachte, wie ihr Manfred mit dem Schlitten den halben Berg hinunter auf die Rampe zugefahren war, diese jedoch nur mit einer Kufe des Schlittens erwischt und sich mitsamt des ohnehin für ihn viel zu kleinen Schlittens überschlagen hatte. Ein dramatischer Schrei und ihr Manni war im Schnee liegengeblieben. Als die Kinder und sie bei ihm angekommen waren, hatte er mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen im Schnee gelegen, die Augen geschlossen und die Zunge aus dem Mundwinkel gestreckt, als wäre er tot. Mia hatte sich erschrocken, doch Markus und Peter, die schon sieben und zehn gewesen waren, hatten ihren Vater natürlich durchschaut. “Siehst du, ich habe doch gesagt, dass schafft er nicht. Er traut sich ja nicht einmal über die ganz kleinen Rampen!”, hatte Peter provozierend gesagt. “Was? Das ist eine Lüge! Ich bin der weltbeste Rampenrodler!”, hatte Manfred gesagt und sich empört aufgesetzt. Die alte Frau lächelte in Erinnerungen versunken, als sie bei dem Rodelberg angekommen war.

“Jonas, Hendrick, kommt schnell! Oma Lisel ist wieder da!”, hörte sie einen Jungen rufen und schon kamen alle Kinder den Berg hinunter gerannt.

“Wir haben dir eine Schneebar gebaut, Oma Lisel!”, erzählte das erste Kind stolz und Liselotte wurde mitsamt ihres Korbes zu einem Wall aus Schnee geführt. Mit einem glücklichen Lächeln verteilte sie die Tassen und begann, den Kindern Tee und Kakao einzuschenken. “Damit ihr euch ein bisschen aufwärmen könnt”, sagte sie und strich einem der Mädchen liebevoll über die grünweiß gestreifte Mütze.

“Schau, Oma Lisel! Wir haben ein Iglu gebaut!”, erzählte ein kleiner Junge und deutete stolz auf einen Haufen Schnee. Die Kinder tranken und erzählten Liselotte, was sie heute alles erlebt hatten, bis die Kannen leer waren und die Kinder wieder zum Spielen den Berg hinaufkletterten. Liselotte lächelte sanft, während sie die Tassen und Kannen wieder in den Korb legte und sich auf den Heimweg machte, das glückliche Lachen der Kinder in den Ohren. Aus diesem Grund war die Winterzeit für sie die liebste Zeit im Jahr.
 
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