Matze
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- #1
Themenstarter/in
25.04. -24.05.2008 ArtGalerie Siegen / Fürst-Johann-Moritzstr. 1 / 57072 Siegen / Tel. 0271 339603
Sich vom Menschen abzuwenden und ihn über den Umweg der Strukturen, welche in jedem Teil der Natur wie Steinen, Holz oder Bodenformationen zu finden sind, wieder zu finden, mag zunächst etwas kurios anmuten. Nicht jedoch wenn einem die Vielschichtigkeit des Gesamtwerkes bekannt ist. Haimo Hieronymus kann man als einen Künstler der Vielfalt bezeichnen. Sein Schaffen wählt Motive und Materialien, welche eigene sinn- und sinnenvolle Zusammenhänge in ihrer gegenseitigen Befragung erzeugen. Er sucht überall nach und findet Anstöße zu seiner Kunst, dabei werden auch die Grundlagen der eigenen kulturellen Geschichte nicht vergessen, sowohl die gern verdrängten, als auch die von jedem für sich beanspruchten. Er weiß um die Wurzeln des Sehens und der Komposition von visuellen Texten. Jegliche Struktur ist immer mehr als ein sich bald auflösendes Knäuel von Linien, jegliche Gestalt immer mehr als der äußere Schein des Augenblicks. Er versucht die Zeit-Raum-Seinszusammenhänge zu erkunden, mal rein grafisch unter Verweis auf die literalen geschichtlichen Kontextbeziehungen, hier dann in seinen Künstlerbüchern und den begleitenden Werken, mal malerisch, dann unter Verwendung der alten Techniken Tempera, Enkaustik, Öl- und Leimfarben, aber auch die Objektkunst und Performance scheint ganz natürlich in diese Prozesse eingebettet. Sein Tun entwickelt sich zu dynamischen Progressionen, deren Ziel nie ganz abzusehen ist, sich manchmal auch verläuft.
Die Bewegungen bergen Überraschungen, lassen unerwartete Formen aufblühen, verweisen zuweilen auch schon mal auf künstlerische Vorbilder, sie ganz ironisch ernst zu nehmen, befragend, nicht aber verwerfend. Dabei überlässt sich der Zeichner nicht dem Zufall, er greift steuernd ein und zu. Die Tätigkeit wird grundsätzlich geleitet von Wissen und Willen. An dieser Grenze zu ständig selbstreflexiver Tätigkeit entsteht ein Neuschaffen von Ideenkonzepten. In diesem Feld von konzentriertem Tun finden die Figuren ihren Platz, nicht immer dort, wo wir sie erwarten werden, immer aber an der richtigen Stelle. Jede Figuration bindet verschiedene Gestaltungsprinzipien zu einem Konglomerat, oft auch in sich fraglich, aber kraftvoll. Er ringt mit seinen Darstellungen um die Form. Er lässt den Betrachter die Kraft und innere Selbstzweifelhaftigkeit spüren, die Werke zeigen die Fragilität von nicht zu bändigendem Lebenswillen. Haimo Hieronymus wird in seinem Werk von seinem Werk, von den manchmal irrwitzigen Ideen getrieben, er kann nicht festmachen, betreibt eine verzehrende Jagd von Bild zu Serie, zu Idee und Möglichkeit. In die Zeit geworfen, stellt er diese bloß.
Haimo Hieronymus stellt sich Fragen, die sich, nimmt man die Entdeckung der perspektivischen Erfassung der Realität in der Malerei der italienischen Renaissance, schon an die alte Kunst stellen lassen. Aber viel mehr noch, spätestens seit Breton für den Surrealismus die Praxis der écriture automatique propagierte, an künstlerische Entwicklungen der jüngeren Moderne des 20. Jahrhunderts. Es hat hier – und dies gilt für die aktuellsten bildnerischen Ausdrucksformen in besonderem Maß â€“ der Prozess, der dem Ergebnis vorausgeht, zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sehr, dass oft der Vorgang der Entstehung selber Stoff und Thema der Werke ist: Ist es wichtig, von einem Ergebnis zu wissen oder daran zu erkennen, wie es dazu gekommen ist? Um die Frage zu verengen in Hinsicht auf künstlerische Lösungen: Wie entscheidend ist der Prozess der Entstehung zum Beispiel eines gemalten Bildes für dessen Wirkung, für die Ausstrahlung, die Kraft des Resultats, seinen Betrachter nachhaltig zu beschäftigen, vielleicht ihn zu berühren? Zählt nicht einzig, was wir schließlich vor Augen haben?
Wenn die Möglichkeiten von Film und Fotografie es erlauben, das Antlitz des Menschen objektiv darzustellen, so könnte der Einfachheit behauptet werden, haben Zeichnung und Malerei ihre Funktion und damit ihre Aufgabe, vielleicht sogar Berechtigung verloren. Denn das wirkliche Aussehen des Menschen kann so gesehen nur die darzustellende Oberfläche sein. Dies erscheint allerdings zu kurz gegriffen. Der Mensch, sein Wesen, des Menschen Portrait ist mehr, gerade das Selbstporträt kann diese anderen Schichten sezieren.
Haimo Hieronymus treibt mit dieser Bild-Vorstellung ein vertracktes Spiel. Zwischen Selbst-Befragung und schwarzen Sarkasmus entlarvt er das äußere Bild als Schema, die Oberfläche der Haut als verletzbare Hülle des Eigentlichen. Der Artist sucht in einer entgrenzten Kunst Grenzen in sich. Zurück bleibt nach der Performance ein Bildraum. Man kann diesen Bildraum betreten, die Welt da draußen vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt.
Im Zeitalter der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus. In den entrücktesten Motiven glaubt man ein Déjà–vu längst verblasster Träume auftauchen zu sehen, etwas Irreales haftet diesen bald mehr ins Impressionistische, bald mehr ins Abstrakte gekippten Zeichnungen an. Die visuellen Störfelder sind den gezeichneten Gemäldenen paradoxerweise als nahtlos infiltrierte, rein imaginäre Wirklichkeit eingeschrieben. Medial erweiterte Malerei zwischen inneren und äußeren Eingebungen, in der jede Homogenität von Raum oder Zeit in unzählige Erlebnispartikel zersprengt ist. Haimo Hieronymus definiert die Konturen und lasiert das Inkarnat als unmodulierte Flächen, die den Körperformen nicht folgen, sondern luftige, getrocknete Seen bilden, die das Papier an den Rändern sich kräuseln lassen. Bildarbeit als Transformation. Häufig wirken sie flüchtig, wenngleich manche Figuren fast nur aus Substanz, etwa Schellack oder Wachs, bestehen. Das transitorische Element, das seine Kunst durchzieht, macht sich bei der Präsentation bemerkbar. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax seiner Malerei, wir sehen das Offensichtliche nicht, weil es sichtbar ist, es wird unsichtbar, wenn wir es sehen.
Mit Schrift übermalen. Die Be-Schreibung setzt in ein anderes Medium über. Die Struktur des Textes ist: Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht die vorige jeweils aus, und die Optiken wechseln. Das gemalte Bild als körperlicher Gegenstand wird von Haimo Hieronymus völlig aufgehoben, es schwebt frei im Raum, verändert sich mit der Bewegung des Betrachters und wird vollkommen ortlos. Diese Grammatik des Sehens verweist darauf, dass es von Anfang an ein Anliegen der Malerei war, das Bild zu transzendieren, eine bildliche Autonomie jenseits des Abbildes zu schaffen. Die Darstellung wird in der Erfindung autonom. Einen Raum zu kreieren, der Pforten ins Denken öffnet, in eine Welt hinter Farbe, Faktur und Motiv. Farbe hat keine Eigenschaft der Gegenstände, sondern nur eine visuelle Erscheinung, die von der Oberflächenstruktur der Dinge in der Weise abhängt, ob diese einen bestimmten Teil des Wellenspektrums des Lichts zurückwerfen, der zudem noch von unserem Wahrnehmungsapparat mitbestimmt wird. Die Flächigkeit von Malerei kann anerkannt und thematisiert werden, sie kann aber auch als ein Hindernis gewertet werden. Erst durch seine erfolgreiche Überwindung kann ein Bild im Kopf des Betrachters entstehen. Künstlerhandschrift, Faktur, Textur. Es wird durch die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungswilligkeit des Betrachters ersetzt, wodurch dieser wiederum auf die Grammatik des Sehens verwiesen wird.
Haimo Hieronymus betätigt sich künstlerisch vielfältig in der Malerei wie der Collagenproduktion, er erstellt Objekte, Holzschnitte, Radierungen, Zeichnungen und publiziert Künstlerbücher. Den bekannten Formen und Motiven des Pop unterlegt der poetische Realist einen pessimistischen Grundton: Die kräftig–bunten Farben der strahlenden Konsumwelt der einstigen Pop–Artisten sind einem gebrochen Farbspektrum gewichen, ihr Auftrag zeigt sich bewusst unvollkommen, die Botschaften bleiben skeptisch. Mit kleinen, meist schwarz/weißen Collagen liefert der Künstler schwarze Satire, ohne das vordergründig Lächerliche nutzen zu müssen. Die Bildfragmente – assoziativ kommentiert durch Textfragmente – drehen sich teilweise derart ineinander, dass die Grundmotivik ins Hintertreffen gerät, assoziative Verweise erstellt. Hat der Betrachter den unmittelbaren Text-Bildeindruck verarbeitet, konkretisieren sich die Motivkonglomerate und erkennbar werden scheinbar bekannte Bilderwelten, quasi Ikonen des Alltags. Allerweltsfotographien werden Auslöser scheinprivater Kontroversen, da die verwendeten Motive zerlegt und neu synthetisiert werden. Haimo Hieronymus erhebt die hybride Formensprache des Fragmentarischen, Brüchigen, Uneinheitliche und Diskontinuierliche zum Gestaltungsprinzip und korrespondiert mit dem psychosozialen Profil des ungebundenen, flexiblen Menschen, dessen Lebensplanung mehr denn je dem “Würfelwurf†abhängt ist.
Das Bild ist Materie, kein Anschauungsmaterial. Material, das zerstört werden kann, um es neu zu fügen, andere Gedanken zu formulieren, neue Zusammenhänge zu erschließen. Haimo Hieronymus repräsentiert den Wert des Authentischen und differenziert klar nach dem, was anwesend und was anschaulich ist. Man erkennt die Schrift erst durch das Licht. Andererseits ist Licht, das nicht irgendetwas beleuchtet, gar nicht sichtbar. Unser Visualisierungssystem benutzt Linien, um die Dinge zu begrenzen und damit zu zeigen, dass sie da sind. Aber wenn das System nicht weiß, was etwas ist, dann kann es das auch nicht erkennen und dir sagen, was es ist. Der Tastsinn des Beschauers wird angeregt, um wieder negiert zu werden. Dabei entsteht kein Schock, sondern ein subtiler Dialog zwischen Bild und Betrachter, zwischen Materie und Fügung. Anstatt eines beliebigen Dekors der Geschwindigkeit entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Diese fügt das Bild zusammen, nicht Linien oder Linienkonstrukte für sich: Sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch und Streit mit den Lineaturen. Rasterstrukturen übersetzt der Maler in farbsatte Bilder. Die dabei verwendete Lackfarbe lässt den Blick an der Oberfläche abperlen wie Regentropfen auf einer Motorhaube.
Einen besonderen Raum in der Arbeit von Haimo Hieronymus nehmen die Künstlerbücher ein. In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch große Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf Literatur und bildender Kunst. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Das Künstlerbuch hat es daher beim Betrachter schwerer als das Bild. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man es aufschlagen muss und nicht an die Wand nageln kann.
Die Deck-Schutzblätter der Künstlerbücher von Haimo Hieronymus spiegeln den Inhalt wider. Der Leser, Betrachter kann so erahnen was zu erwarten ist. Ein Bild ist keine Illustration, es ist ein eigenständiger Informationsträger. Text und Bild ergeben ein sich gegenseitig unterstützendes Gefüge, bleiben trotzdem eigenständig verständlich. Genauso wenig, wie alle Schriftteile sofort ersichtlich sind, erscheinen die diffizilen Strukturen der Grafik auf den ersten Blick nicht lesbar, erst das nähere Betrachten, je eingehender, desto besser – legt geradezu schichtweise die Bild- und Textinformationen frei.
Der Betrachter muss sich den Sinn entschlüsseln, erschließen. Eine Allgemeingültigkeit ist immer fraglich, da alle Bilder zwar im selben Kontext stehen, jedes für sich jedoch seine Eigenständigkeit bewahrt, eine Abgrenzung aber ist nicht unbedingt von vorne herein gegeben, Verzahnungen sind vorhanden.
Jedes Thema benötigt sein individuelles Vorgehen. Alle Platten werden mit verschiedenen Werkzeugen behandelt, die thematischen Unterschiede werden dem Betrachter durch das verschiedenartige Behauen und Kratzen deutlich. Mal wird mit heftigen gestischen Schmissen gearbeitet, mal verweilt der Beitel feinfühlig in kleinsten Strukturen. Mal tanzt der Stichel gerade beim Zeichnen von größeren Zusammenhängen großzügig über die Druckplatte, mal bewegt er sich, bei den Untersuchungen zu Körperteilen beispielsweise, eher zaghaft über das Holz.
Während man seinen Zeichnungen vor allem mit dem Strich assoziiert, hört man hier, bei seinen sehr körperlichen Holzschnitten, fast die Geräusche der Sägen und der Beitel, hört das Kratzen und Splittern und Ritzen während ihrer Herstellung. Das Gewachsene des Holzes wurde zerstört, dem Material brachial Gewalt angetan. Und dachte man bei Haimos Hieronymus Malerei, nur mit allergrößter Anstrengung sei zu verhindern, dass der Blick abperlt, hat man nun den Eindruck, man bleibt hängen in den vehementen Schnitten, den rissigen Rändern und den Spalten.
Manche Platten werden verworfen, andere werden hingeworfen und bleiben liegen, zeigen ihre Kraft und werden zu einer Auflage gedruckt. Nach der Bearbeitung ist die Aussage so, dass der Betrachter etwas damit anfangen kann.
Haimo Hieronymus variiert nicht, er wiederholt. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Jede Wiederholung impliziert allerdings eine grundsätzliche Befragung und damit Differenzierung. Beim Künstlerbuch »Faszikel« versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muss für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen. Wichtig ist, dass das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt.
Haimo Hieronymus verwendet korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen können. Teilweise sind die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und werden durch Schleifpasten und Dreikanntschaber nivelliert. Die Platten werden meist zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erscheint, überlässt er seinem Vertrauen in die Platte.
Haimo Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit der einzigartigen Verbindung von Form und Farbe, bei der aber die Freiheit des Pinselstrichs, die Spontaneität des Eindruckes, kurz: die Impression, eine ungleich nachrangige Bedeutung hat. Er verzichtet auf Interpretationen von einzelnen Figuren, beruft sich vielmehr auf die Logik der Komposition und die innere visuelle Freiheit des Künstlers. Gerade in der Lebendigkeit des Farbauftrags, der zunehmenden Verselbstständigung des malerischen Pinselstrichs, der sprunghaften Eigenheit der Linie von seiner gegenstandsbezeichnenden Funktion erkennt man seine Handschrift. Haimo Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, dass auf zahlreichen Zeichnungen nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die synästhetische Wahrnehmung.
Matthias Hagedorn
Link: www.ArtGalerie-Siegen.de
Über Künstlerbücher unter: http://www.kultura-extra.de/literat...enstlerbuch_Idole_Weigoni_Hieronymus_2007.php
Sich vom Menschen abzuwenden und ihn über den Umweg der Strukturen, welche in jedem Teil der Natur wie Steinen, Holz oder Bodenformationen zu finden sind, wieder zu finden, mag zunächst etwas kurios anmuten. Nicht jedoch wenn einem die Vielschichtigkeit des Gesamtwerkes bekannt ist. Haimo Hieronymus kann man als einen Künstler der Vielfalt bezeichnen. Sein Schaffen wählt Motive und Materialien, welche eigene sinn- und sinnenvolle Zusammenhänge in ihrer gegenseitigen Befragung erzeugen. Er sucht überall nach und findet Anstöße zu seiner Kunst, dabei werden auch die Grundlagen der eigenen kulturellen Geschichte nicht vergessen, sowohl die gern verdrängten, als auch die von jedem für sich beanspruchten. Er weiß um die Wurzeln des Sehens und der Komposition von visuellen Texten. Jegliche Struktur ist immer mehr als ein sich bald auflösendes Knäuel von Linien, jegliche Gestalt immer mehr als der äußere Schein des Augenblicks. Er versucht die Zeit-Raum-Seinszusammenhänge zu erkunden, mal rein grafisch unter Verweis auf die literalen geschichtlichen Kontextbeziehungen, hier dann in seinen Künstlerbüchern und den begleitenden Werken, mal malerisch, dann unter Verwendung der alten Techniken Tempera, Enkaustik, Öl- und Leimfarben, aber auch die Objektkunst und Performance scheint ganz natürlich in diese Prozesse eingebettet. Sein Tun entwickelt sich zu dynamischen Progressionen, deren Ziel nie ganz abzusehen ist, sich manchmal auch verläuft.
Die Bewegungen bergen Überraschungen, lassen unerwartete Formen aufblühen, verweisen zuweilen auch schon mal auf künstlerische Vorbilder, sie ganz ironisch ernst zu nehmen, befragend, nicht aber verwerfend. Dabei überlässt sich der Zeichner nicht dem Zufall, er greift steuernd ein und zu. Die Tätigkeit wird grundsätzlich geleitet von Wissen und Willen. An dieser Grenze zu ständig selbstreflexiver Tätigkeit entsteht ein Neuschaffen von Ideenkonzepten. In diesem Feld von konzentriertem Tun finden die Figuren ihren Platz, nicht immer dort, wo wir sie erwarten werden, immer aber an der richtigen Stelle. Jede Figuration bindet verschiedene Gestaltungsprinzipien zu einem Konglomerat, oft auch in sich fraglich, aber kraftvoll. Er ringt mit seinen Darstellungen um die Form. Er lässt den Betrachter die Kraft und innere Selbstzweifelhaftigkeit spüren, die Werke zeigen die Fragilität von nicht zu bändigendem Lebenswillen. Haimo Hieronymus wird in seinem Werk von seinem Werk, von den manchmal irrwitzigen Ideen getrieben, er kann nicht festmachen, betreibt eine verzehrende Jagd von Bild zu Serie, zu Idee und Möglichkeit. In die Zeit geworfen, stellt er diese bloß.
Haimo Hieronymus stellt sich Fragen, die sich, nimmt man die Entdeckung der perspektivischen Erfassung der Realität in der Malerei der italienischen Renaissance, schon an die alte Kunst stellen lassen. Aber viel mehr noch, spätestens seit Breton für den Surrealismus die Praxis der écriture automatique propagierte, an künstlerische Entwicklungen der jüngeren Moderne des 20. Jahrhunderts. Es hat hier – und dies gilt für die aktuellsten bildnerischen Ausdrucksformen in besonderem Maß â€“ der Prozess, der dem Ergebnis vorausgeht, zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sehr, dass oft der Vorgang der Entstehung selber Stoff und Thema der Werke ist: Ist es wichtig, von einem Ergebnis zu wissen oder daran zu erkennen, wie es dazu gekommen ist? Um die Frage zu verengen in Hinsicht auf künstlerische Lösungen: Wie entscheidend ist der Prozess der Entstehung zum Beispiel eines gemalten Bildes für dessen Wirkung, für die Ausstrahlung, die Kraft des Resultats, seinen Betrachter nachhaltig zu beschäftigen, vielleicht ihn zu berühren? Zählt nicht einzig, was wir schließlich vor Augen haben?
Wenn die Möglichkeiten von Film und Fotografie es erlauben, das Antlitz des Menschen objektiv darzustellen, so könnte der Einfachheit behauptet werden, haben Zeichnung und Malerei ihre Funktion und damit ihre Aufgabe, vielleicht sogar Berechtigung verloren. Denn das wirkliche Aussehen des Menschen kann so gesehen nur die darzustellende Oberfläche sein. Dies erscheint allerdings zu kurz gegriffen. Der Mensch, sein Wesen, des Menschen Portrait ist mehr, gerade das Selbstporträt kann diese anderen Schichten sezieren.
Haimo Hieronymus treibt mit dieser Bild-Vorstellung ein vertracktes Spiel. Zwischen Selbst-Befragung und schwarzen Sarkasmus entlarvt er das äußere Bild als Schema, die Oberfläche der Haut als verletzbare Hülle des Eigentlichen. Der Artist sucht in einer entgrenzten Kunst Grenzen in sich. Zurück bleibt nach der Performance ein Bildraum. Man kann diesen Bildraum betreten, die Welt da draußen vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt.
Im Zeitalter der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus. In den entrücktesten Motiven glaubt man ein Déjà–vu längst verblasster Träume auftauchen zu sehen, etwas Irreales haftet diesen bald mehr ins Impressionistische, bald mehr ins Abstrakte gekippten Zeichnungen an. Die visuellen Störfelder sind den gezeichneten Gemäldenen paradoxerweise als nahtlos infiltrierte, rein imaginäre Wirklichkeit eingeschrieben. Medial erweiterte Malerei zwischen inneren und äußeren Eingebungen, in der jede Homogenität von Raum oder Zeit in unzählige Erlebnispartikel zersprengt ist. Haimo Hieronymus definiert die Konturen und lasiert das Inkarnat als unmodulierte Flächen, die den Körperformen nicht folgen, sondern luftige, getrocknete Seen bilden, die das Papier an den Rändern sich kräuseln lassen. Bildarbeit als Transformation. Häufig wirken sie flüchtig, wenngleich manche Figuren fast nur aus Substanz, etwa Schellack oder Wachs, bestehen. Das transitorische Element, das seine Kunst durchzieht, macht sich bei der Präsentation bemerkbar. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax seiner Malerei, wir sehen das Offensichtliche nicht, weil es sichtbar ist, es wird unsichtbar, wenn wir es sehen.
Mit Schrift übermalen. Die Be-Schreibung setzt in ein anderes Medium über. Die Struktur des Textes ist: Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht die vorige jeweils aus, und die Optiken wechseln. Das gemalte Bild als körperlicher Gegenstand wird von Haimo Hieronymus völlig aufgehoben, es schwebt frei im Raum, verändert sich mit der Bewegung des Betrachters und wird vollkommen ortlos. Diese Grammatik des Sehens verweist darauf, dass es von Anfang an ein Anliegen der Malerei war, das Bild zu transzendieren, eine bildliche Autonomie jenseits des Abbildes zu schaffen. Die Darstellung wird in der Erfindung autonom. Einen Raum zu kreieren, der Pforten ins Denken öffnet, in eine Welt hinter Farbe, Faktur und Motiv. Farbe hat keine Eigenschaft der Gegenstände, sondern nur eine visuelle Erscheinung, die von der Oberflächenstruktur der Dinge in der Weise abhängt, ob diese einen bestimmten Teil des Wellenspektrums des Lichts zurückwerfen, der zudem noch von unserem Wahrnehmungsapparat mitbestimmt wird. Die Flächigkeit von Malerei kann anerkannt und thematisiert werden, sie kann aber auch als ein Hindernis gewertet werden. Erst durch seine erfolgreiche Überwindung kann ein Bild im Kopf des Betrachters entstehen. Künstlerhandschrift, Faktur, Textur. Es wird durch die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungswilligkeit des Betrachters ersetzt, wodurch dieser wiederum auf die Grammatik des Sehens verwiesen wird.
Haimo Hieronymus betätigt sich künstlerisch vielfältig in der Malerei wie der Collagenproduktion, er erstellt Objekte, Holzschnitte, Radierungen, Zeichnungen und publiziert Künstlerbücher. Den bekannten Formen und Motiven des Pop unterlegt der poetische Realist einen pessimistischen Grundton: Die kräftig–bunten Farben der strahlenden Konsumwelt der einstigen Pop–Artisten sind einem gebrochen Farbspektrum gewichen, ihr Auftrag zeigt sich bewusst unvollkommen, die Botschaften bleiben skeptisch. Mit kleinen, meist schwarz/weißen Collagen liefert der Künstler schwarze Satire, ohne das vordergründig Lächerliche nutzen zu müssen. Die Bildfragmente – assoziativ kommentiert durch Textfragmente – drehen sich teilweise derart ineinander, dass die Grundmotivik ins Hintertreffen gerät, assoziative Verweise erstellt. Hat der Betrachter den unmittelbaren Text-Bildeindruck verarbeitet, konkretisieren sich die Motivkonglomerate und erkennbar werden scheinbar bekannte Bilderwelten, quasi Ikonen des Alltags. Allerweltsfotographien werden Auslöser scheinprivater Kontroversen, da die verwendeten Motive zerlegt und neu synthetisiert werden. Haimo Hieronymus erhebt die hybride Formensprache des Fragmentarischen, Brüchigen, Uneinheitliche und Diskontinuierliche zum Gestaltungsprinzip und korrespondiert mit dem psychosozialen Profil des ungebundenen, flexiblen Menschen, dessen Lebensplanung mehr denn je dem “Würfelwurf†abhängt ist.
Das Bild ist Materie, kein Anschauungsmaterial. Material, das zerstört werden kann, um es neu zu fügen, andere Gedanken zu formulieren, neue Zusammenhänge zu erschließen. Haimo Hieronymus repräsentiert den Wert des Authentischen und differenziert klar nach dem, was anwesend und was anschaulich ist. Man erkennt die Schrift erst durch das Licht. Andererseits ist Licht, das nicht irgendetwas beleuchtet, gar nicht sichtbar. Unser Visualisierungssystem benutzt Linien, um die Dinge zu begrenzen und damit zu zeigen, dass sie da sind. Aber wenn das System nicht weiß, was etwas ist, dann kann es das auch nicht erkennen und dir sagen, was es ist. Der Tastsinn des Beschauers wird angeregt, um wieder negiert zu werden. Dabei entsteht kein Schock, sondern ein subtiler Dialog zwischen Bild und Betrachter, zwischen Materie und Fügung. Anstatt eines beliebigen Dekors der Geschwindigkeit entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Diese fügt das Bild zusammen, nicht Linien oder Linienkonstrukte für sich: Sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch und Streit mit den Lineaturen. Rasterstrukturen übersetzt der Maler in farbsatte Bilder. Die dabei verwendete Lackfarbe lässt den Blick an der Oberfläche abperlen wie Regentropfen auf einer Motorhaube.
Einen besonderen Raum in der Arbeit von Haimo Hieronymus nehmen die Künstlerbücher ein. In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch große Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf Literatur und bildender Kunst. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Das Künstlerbuch hat es daher beim Betrachter schwerer als das Bild. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man es aufschlagen muss und nicht an die Wand nageln kann.
Die Deck-Schutzblätter der Künstlerbücher von Haimo Hieronymus spiegeln den Inhalt wider. Der Leser, Betrachter kann so erahnen was zu erwarten ist. Ein Bild ist keine Illustration, es ist ein eigenständiger Informationsträger. Text und Bild ergeben ein sich gegenseitig unterstützendes Gefüge, bleiben trotzdem eigenständig verständlich. Genauso wenig, wie alle Schriftteile sofort ersichtlich sind, erscheinen die diffizilen Strukturen der Grafik auf den ersten Blick nicht lesbar, erst das nähere Betrachten, je eingehender, desto besser – legt geradezu schichtweise die Bild- und Textinformationen frei.
Der Betrachter muss sich den Sinn entschlüsseln, erschließen. Eine Allgemeingültigkeit ist immer fraglich, da alle Bilder zwar im selben Kontext stehen, jedes für sich jedoch seine Eigenständigkeit bewahrt, eine Abgrenzung aber ist nicht unbedingt von vorne herein gegeben, Verzahnungen sind vorhanden.
Jedes Thema benötigt sein individuelles Vorgehen. Alle Platten werden mit verschiedenen Werkzeugen behandelt, die thematischen Unterschiede werden dem Betrachter durch das verschiedenartige Behauen und Kratzen deutlich. Mal wird mit heftigen gestischen Schmissen gearbeitet, mal verweilt der Beitel feinfühlig in kleinsten Strukturen. Mal tanzt der Stichel gerade beim Zeichnen von größeren Zusammenhängen großzügig über die Druckplatte, mal bewegt er sich, bei den Untersuchungen zu Körperteilen beispielsweise, eher zaghaft über das Holz.
Während man seinen Zeichnungen vor allem mit dem Strich assoziiert, hört man hier, bei seinen sehr körperlichen Holzschnitten, fast die Geräusche der Sägen und der Beitel, hört das Kratzen und Splittern und Ritzen während ihrer Herstellung. Das Gewachsene des Holzes wurde zerstört, dem Material brachial Gewalt angetan. Und dachte man bei Haimos Hieronymus Malerei, nur mit allergrößter Anstrengung sei zu verhindern, dass der Blick abperlt, hat man nun den Eindruck, man bleibt hängen in den vehementen Schnitten, den rissigen Rändern und den Spalten.
Manche Platten werden verworfen, andere werden hingeworfen und bleiben liegen, zeigen ihre Kraft und werden zu einer Auflage gedruckt. Nach der Bearbeitung ist die Aussage so, dass der Betrachter etwas damit anfangen kann.
Haimo Hieronymus variiert nicht, er wiederholt. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Jede Wiederholung impliziert allerdings eine grundsätzliche Befragung und damit Differenzierung. Beim Künstlerbuch »Faszikel« versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muss für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen. Wichtig ist, dass das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt.
Haimo Hieronymus verwendet korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen können. Teilweise sind die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und werden durch Schleifpasten und Dreikanntschaber nivelliert. Die Platten werden meist zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erscheint, überlässt er seinem Vertrauen in die Platte.
Haimo Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit der einzigartigen Verbindung von Form und Farbe, bei der aber die Freiheit des Pinselstrichs, die Spontaneität des Eindruckes, kurz: die Impression, eine ungleich nachrangige Bedeutung hat. Er verzichtet auf Interpretationen von einzelnen Figuren, beruft sich vielmehr auf die Logik der Komposition und die innere visuelle Freiheit des Künstlers. Gerade in der Lebendigkeit des Farbauftrags, der zunehmenden Verselbstständigung des malerischen Pinselstrichs, der sprunghaften Eigenheit der Linie von seiner gegenstandsbezeichnenden Funktion erkennt man seine Handschrift. Haimo Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, dass auf zahlreichen Zeichnungen nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die synästhetische Wahrnehmung.
Matthias Hagedorn
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