Poldi

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Söhne und Liebhaber

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Erster Eindruck: Jahrhundertroman intensiv umgesetzt

Die Liebe zwischen dem Ehepaar Gertrude und Walter Morel scheint längst verloschen, Streitigkeiten und eisiges Schweigen prägen ihr Leben. Umso mehr flüchtet sich Gertrude in die Beziehungen zu ihren Kindern, die sich ebenso von ihrem trinkenden Vater abgewandt haben. Besonders ihre Bindung zu ihrem jüngsten Sohn Paul ist eng, der sich im Laufe seines Lebens immer mehr ihrer erdrückenden Liebe erwehren muss…

Zur Zeit seiner Veröffentlichung, dem Jahr 1913, galt „Söhne und Liebhaber“ als Skandalroman, da durchaus auch eine erotische Komponente in der Beziehung von Mutter und Sohn vorhanden war. 100 Jahre später ist nun ein Hörspiel nach der Vorlage beim Hörverlag erschienen, das 2012 vom hessischen Rundfunk produziert wurde. Das Hörspiel hat eine sehr ruhige, aber umso intensivere Ausstrahlung. Lange Passagen werden von einem externen Erzähler gesprochen, der in recht nüchterner Weise von den Emotionen der Personen berichtet, sich dabei deutlich distanziert. Anfangs steht die Beziehung von Ehepaar Morel im Mittelpunkt, nur so kann man verstehen, wie die komplizierte Konstellation in der Familie zu Stande gekommen ist. Er Bergarbeiter, sie Hausfrau, können kaum miteinander kommunizieren und verletzen sich dabei immer weiter, bewegen sich weiter voneinander fort, durch diverse Schicksalsschläge rücken sie aber auch wieder zusammen. Danach wird immer mehr auf die Beziehungen von Gertrude zu ihren Kinder eingegangen, erst zu ihrem älteren Sohn William, der erfolgreich seinen Weg im Leben geht, später zu Paul, der sich vorerst ebenso eng an seine Mutter klammert und später nicht von ihr loskommt. Immer weiter steigert sich diese Konstellation, immer weiter taucht der Hörer in diese Beziehung ein, immer stärker werden die Charaktere beschreiben. Man lernt diese sehr genau kennen, und sie sind derart treffend beschrieben, dass man schnell meint, sie schon Jahre zu kennen. Und so unglaublich diese Geschichte gerade gegen Ende auch klingen mag, so gut kann man sie nachvollziehen. Man hat das Gefühl, dass kaum eine andere Entwicklung möglich sein könnte. Ein sehr intensiver Roman, hervorragend umgesetzt, sehr fesselnd und eindringlich umgesetzt.

Sehr gelungen die Auswahl der Sprecher, sie sorgen dafür, dass man die Charaktere noch besser zu erfassen weiß. Erzähler Michael Rotschopf kommentiert die Geschichte in recht neutraler Weise, bringt aber in aller Deutlichkeit die direkte Sprache des Romans zur Geltung, spricht eindringlich und kehrt auch die Details des Romans nach außen. Sehr gut gefallen hat mir Angela Winkler als Gertrude Morel, bringt die dominante Art, klingt verhärmt und kalt, kann die Verachtung der Welt gegenüber ebenso wie die enge Liebe zu ihren Kindern deutlich darstellen. Patrick Güldenberg spricht Paul mit einer weichen, verletzlichen Stimme, stellt aber auch die Reifung, die Entwicklung des jungen Mannes dar. Weitere Sprecher sind Wolf-Dietrich Sprenger, Andreas Pietschmann und Effi Rabsilber.

Sehr feinsinnig ist die Geschichte inszeniert, wobei sich die akustischen Stilmittel gerade zu Anfang sehr in Grenzen halten, die Dialoge und die hervorragenden Sprecher stehen zu jeder Zeit im Vordergrund. Doch in dem Maße, in der sich die Handlung steigert, tritt auch die Musik deutlicher hervor, sorgt mit einem klassisch zusammengesetzten Streichquartett für eine intensive Stimmung. Sehr gelungen, zumal der Verlauf der Geschichte so gut nachgezeichnet wird.

In dunklen, erdigen Tönen ist das Cover gehalten, ein brauner Hintergrund und die Fotografie von zwei antiken Statuen in Beigetönen verströmen einen ruhigen Ausdruck. In das ansehnliche und stabile Digipack ist ein Booklet eingeklebt, das zahlreiche zusätzliche Informationen enthält. Ein einführender Text und Kurzinformationen zu Autor und den Mitwirkenden des Hörspiels sind eine gute Ergänzung.

Fazit: Der dominante, vielschichtige Charakter von Gertrude steht im Mittelpunkt, die Beziehungen zu ihrem Mann und ihren Kindern sehr intensiv beschrieben. Ein Ausnahmehörspiel, dass man sich in fast vier ruhigen Stunden zu Gemüte führen sollte.

VÖ: 13.Mai 2013
Label: Der Hörverlag
Bestellnummer: 978-3-86717-990-4
 
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