Poldi

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Doktor Schiwago

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Erster Eindruck: Weltliteratur in schwerfälliger Umsetzung

Der als Waisenjunge in einer Pflegefamilie aufgewachsene Jurij Schiwago studiert trotz seines Hanges zur Dichtkunst Medizin und heiratet Tonja, die leibliche Tochter seiner Pflegeeltern. Nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges lernt er Lara kennen, die einen Klassenkameraden geheiratet hat, um dem Einfluss ihres Stiefvaters zu entgehen. Lara und Jurij verlieben sich ineinander, doch ihre Wege trennen sich bald wieder...

„Doktor Schiwago“ ist den meisten wohl in der Verfilmung von 1965 bekannt, auch die Neuauflage aus dem Jahr 2002 hat einige Anhänger gefunden. Doch die bekannte Vorlage wurde auch als Radiohörspiel im Jahr 1958 umgesetzt, ein Jahr nach dem Erscheinen des Romans. Die Umsetzung ist sehr trocken, gerade am Anfang sind zahlreiche zähe Passagen vorhanden. Lange Erzählpassagen reihen sich hier aneinander, es finden kaum Dialoge statt, die Handlung wirkt sehr statisch. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung wirkt die Umsetzung lebendiger, doch von wirklicher Dynamik ist hier nichts zu spüren. Das erschwert den Zugang zum eigentlichen Stoff deutlich, sodass man viel Aufmerksamkeit und Konzentration aufbringen muss, um der Handlung zu folgen und die Charaktere und Ereignisse richtig zuordnen zu können. Dabei ist der Roman durchaus lohnenswert, die philosophischen Gedankenanstöße und die eindringliche Betrachtungsweise des menschlichen Zusammenlebens, der nachdenkliche und weise Charakter von Jurij sind gut miteinander verflochten, wenn man sich hier auch durch die altertümliche Sprache nicht abschrecken lassen sollte. Doch was als Roman gut funktioniert, lässt sich nun mal nicht einfach auch das Medium Hörspiel übertragen, zumal hier eher von einer Lesung mit verteilten Rollen zu sprechen ist, Geräusche oder gar Musik kommen hier nicht zur Geltung. Mich konnte diese Umsetzung leider gerade wegen des schwerfälligen Anfangs nicht so recht überzeugen.

Ludwig Cremer ist als Jurij Schiwago zu hören und verleiht seiner Figur eine starke Präsenz und einen eindringlichen Ausdruck, kann ihn facettenreich und mit viel Feingefühl erfassen. Auch Joana Maria Gorvin konnte mich als Lara überzeugen, ihre sanfte Stimme und ihre sehr präsente Sprechweise erschaffen eine lebendigen und vielseitigen Charakter. Ingeborg Christiansen wirkt als Tatjana sehr steif, sodass sie mich leider mit ihrer Stimme nicht erreichen konnte. Weitere Sprecher sind Rudolph Birkemeyer, Kaspar Brünunghaus und Paul Hoffmann.

Geprägt wird Das Cover von einer russischen Schönheit, ihr geheimnisvolles, fast schon edles Gesicht mit dem sanften Lächeln ist umrahmt von Pelzmütze und -mantel. Der recht schlichte Schriftzug lenkt hiervon nicht zu sehr ab. Im Inneren des hübsch gestalteten Digipacks findet sich noch ein Booklet mit Informationen zu einigen Mitwirkenden, dem Autor sowie einem sehr lesenswerten einführenden Text über die Geschichte des Werkes.

Fazit: Doktor Schiwago gehört zweifellos zur Weltliteratur und hat mit seiner ausdrucksstarken Handlung und den vielschichtigen Charakteren zurecht diesen Status. Diese Umsetzung ist jedoch zu zäh geraten und erschwert zudem den Einstieg in die Handlung, verliert sich in zu langen Monologen und kann erst im zweiten Drittel der über vierstündigen Erzählung etwas Dynamik präsentieren.

VÖ: 8.Dezember 2014
Label: Der Hörverlag
Bestellnummer: 978-3-8445-1716-3
 
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