Poldi

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Der Gott des Gemetzels

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Erster Eindruck: Eine Rauferei und seine Folgen

Zwei Ehepaare treffen sich beim nachmittäglichen Kaffee, doch der Anlass ist kein erfreulicher. Denn der Sohn des einen Ehepaares hat dem Sohn des anderen mit einem Stock zwei Zähne ausgeschlagen. Gemeinsam suchen sie nach einer Lösung und gehen freundlich, ja, kultiviert miteinander um. Doch schnell schleicht sich ein gereizter Unterton ein, und bald offenbart jeder ein wirkliches Gesicht...

Ein Hörspiel von etwa einer Stunde Laufzeit, getragen von lediglich vier Sprecher, begrenzt auf einen Ort und ohne zeitliche Sprünge – kann das funktionieren? Zugegeben, ich war anfangs skeptisch, doch ehe ich es mich versah, war in völlig in der Geschichte gefangen und habe die langsame Sezierung der Charaktere mit Spannung verfolgt. Am Anfang wird die Grundsituation erklärt, daraufhin entwickelt sich langsam, aber sehr konsequent das Gespräch der vier Protagonisten. Anfangs bemüht höflich, sehr kooperativ und trotz des ernsten Themas scheinbar ohne Spannungen. Diese kommen nach und nach zu Tage, bis sich bald alle offen anfeinden, beschimpfen und verbal attackieren. Und trotz des begrenzten Raumes werden hier Nebenarme zu der eigentlichen Handlung aufgemacht: Die Skrupellosigkeit der Pharmaindustrie, die gespannten Beziehungen der Ehepaare oder wie sehr man weltliche, wertvolle Dinge in den Vordergrund stellt. Doch im Mittelpunkt stehen stets die Charaktere, die sich langsam entblößen, bis in ihr Innerstes wird hier vorgedrungen. Veronique voller moralischer Vorstellungen, die aber auch lästert und ziemlich rechthaberisch ist. Anette oberflächlich freundlich, in Wirklichkeit aber falsch und sehr nervös. Andererseits die Männer, Alain wichtigtuerisch und verächtlich gegenüber seinem Gegenüber, Michel ist gewaltbereit ist in jungenhaften Machtkampfvorstellungen gefangen. Eine explosive Mischung, die so einige Wendung mit sich bringt, es wird geschrien, gedroht und – ja – gekotzt, sich betrunken und beleidigt. Das Ende kommt dann abrupt, wie abgeschnitten wirkt das Gespräch, sodass der Hörer sich selbst ausmalen kann, wie das Gespräch weitergeht, ob sich die Jungen noch einmal gegenüberstehen oder wie der Konflikt schließlich gelöst wird. Eine bitterböse Komödie, ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und eine wohltuende Oase zwischen den restlichen Hörspielen, da es erfrischend anders ist.

Dieses Stück lebt von seinen genialen Sprechern, die völlig in ihren Rollen aufgehen und sämtliche Eigenschaft nach außen kehren – was man immer wieder neu entdecken kann, denn auch beim zweiten oder dritten Hören gibt es hier Nuancen, die man vorher nicht bemerkt hat. Beeindruckt hat mich vor allem Corinna Harfouch, eine der großen deutschen Schauspielerinnen, die Anette voller Inbrunst, Gespür für den richtigen Moment und Feingefühl spricht. Ulrike Krummbiegel steht ihr in nichts nach, kann den komplexen und von Moralvorstellungen getriebenen Charakter von Veronique in seiner Gesamtheit einfangen. Udo Wachtveitl spricht den gewaltbereiten Michel, der es unter der Oberfläche brodeln lässt und besonders in Streitereien mit seiner Gattin die pure Wut des Mannes auf das Leben anklingen lässt. Und schließlich Sylvester Groth, der als Alain seinem wahren Gefühlen freien Lauf lässt und perfekt den genervten Anwalt umsetzt.

Bei der akustischen Umsetzung wurde hier das absolute Minimum eingesetzt. Keine Musik, nur ab und an ein notwendiges Geräusch, das dann aber seine Wirkung nicht verfehlt – das ständige Handyklingeln beispielsweise reißt auch den Hörer immer wieder aus dem Gespräch heraus. Und genau diese sehr nüchterne Umsetzung ist ideal für den Stoff, der durch seine Schauspieler wirkt und seine Lebendigkeit erhält.

Das Cover hat mich überrascht und hat auf den ersten Blick rein gar nichts mit der Handlung zu tun: Ein fein gekleideter Mann, nur etwa von der Brust bis zum Bauchnabel zu sehen, sitzt an einem aufwändig gedeckten Tisch und schneidet mit Messer und Gabel ein blutiges Steak. Symbolträchtig und ungewöhnlich, aber auf den zweiten Blick durchaus passend – die feine Gesellschaft, aber wie ein Tier fast rohes Fleisch essend.

Fazit: Ein ganz und gar ungewöhnliches Hörspiel, das keinem bekannten Muster folgt und eine ganz eigene Dynamik entwickelt - begrenzt auf ein in Realzeit ablaufendes Gespräch und nur einen Raum. Doch wie die Charaktere langsam ihr wahres Ich zeigen, der Ton immer gereizter wird, die Situation schließlich eskaliert, ist sehr fesselnd und eingängig umgesetzt und hält einem an der einen oder anderen Stelle einen Spiegel vor – eine klare Empfehlung meinerseits!

VÖ: 1.Februar 2014
Label: Der Audio Verlag
Bestellnummer: 978-3-8623-1370-9
 

Dagmar

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AW: Der Gott des Gemetzels

Ist ja ursprünglich auch kein Hörspiel sondern ein Theaterstück. Und zwar ein seeehr fieses :D
 
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